Schlangenkopf
Begriff bist. Diese Kampfhubschrauber sind noch nicht einsatzfähig, sehr bedauerlich, das ist nun einmal im Krieg so, die Soldaten müssen ihre Pflicht tun mit dem Material, das vorhanden ist, und deine gottverdammte Pflicht ist es, zu den politischen Entscheidungen zu stehen, die du seinerzeit mitgetragen hast …«
»Meine Pflicht ist …«, setzt Fausser an, aber der Fraktionsgeschäftsführer fällt ihm ins Wort:
»Lass mich bitte ausreden! Die Vorgehensweise von EuroStrat wird nämlich nicht nur von dir kritisch gesehen, was glaubst du eigentlich! Aber gerade deswegen können wir nicht zulassen, dass du Missbrauch betreibst mit diesem Thema, nur um damit selbst in die Schlagzeilen zu kommen …«
»Meine Pflicht …«
»Hör mir jetzt bitte einen Augenblick lang zu! Wir müssen nämlich eine Entscheidung treffen. In der jetzigen Situation ist es für uns unzumutbar, einen Abgeordneten in den Haushaltsausschuss zu schicken, der nicht der Fraktionslinie folgt, sondern seinen eigenen Interessen …«
»Ich verfolge keine eigenen Interessen.«
»Komm mir nicht damit!« Holtzenpflug schiebt sich über den Schreibtisch, als müsse er Höhe gewinnen. »Komm mir nicht mit deinem Gewissen, das ist degoutant! … Aber bitte. Du verfolgst keine eigenen Interessen, du folgst deinem Gewissen, du willst deine Hände nicht schmutzig machen, dafür gibt es ja die Fraktionsführung, die soll das tun. Einverstanden! Aber dann …«
»Du hast von einer Entscheidung gesprochen. Welche?«
»Es gibt immer zwei Möglichkeiten.« Holtzenpflug lehnt sich zurück und betrachtet Fausser, ein Zucken läuft dabei über seine vollen, ein wenig feuchten Lippen. »Die eine ist: Du sicherst uns zu, uns vorab über Stellungnahmen und alle Schritte zu unterrichten, die von der Fraktionslinie abweichen, insbesondere in den Themenbereichen EuroStrat, ehemaliges Jugoslawien, Afghanistan, und allem, was damit zusammenhängt …«
»Und wenn ich das nicht zusichere?«
»Auch dann gibt es zwei Möglichkeiten.« Die Lippen deuten ein Lächeln an. »Du räumst entweder von dir aus deinen Sitz im Haushaltsausschuss, oder wir berufen dich ab. Das geht dann sehr schnell, glaub mir.«
»Du hast vorhin von meiner Pflicht gesprochen …« Fausser bricht unvermittelt ab, als sei ihm ein neuer Gedanke gekommen. »Entschuldige bitte, aber es gibt Worte, die müssen nur einmal zu viel gesagt werden, und auf einmal verlieren sie allen Sinn.« Er steht auf, offenbar zu schnell, denn er muss sich kurz an der Stuhllehne mit dem schwarzen Leder festhalten. Kurz atmet er durch, dann nickt er Holtzenpflug zu und wendet sich zur Tür.
A n der Straßenecke oberhalb von Berndorfs Büro liegt eine Osteria; dort hat er zu Mittag gegessen – Pasta mit Gemüse und ein paar Lachsstreifen, dazu Mineralwasser und keinen Wein, aber einen doppelten Espresso, der kleine Trost für alte Pflastertreter. Noch vor drei Uhr will er in der Gerichtsmedizin sein und sich ansehen, was einmal Murad Aydin gewesen war, verspäten darf er sich nicht, denn um drei Uhr will der Bestatter die Leiche abholen. Er geht noch einmal zurück in sein Büro, den Anrufbeantworter abhören, aber außer Barbara hat niemand daraufgesprochen, und was sie mitteilt, kommt nicht überraschend: Sie muss am Abend noch zu einer Fakultätskonferenz. »Es wird spät werden.«
Er verzieht ein wenig das Gesicht. Nicht, weil Barbaras Mitteilung ein Problem aufwerfen würde. Seit Felix in die ewigen Jagdgründe eingegangen ist, müssen weder Barbara noch Berndorf rechtzeitig zu Hause sein, um den Hund auszuführen. Nur wird ihm jetzt wieder einmal vor Augen geführt, dass er sich so bald keinen neuen Hund zulegen kann. Er hasst es, wenn ihm Dinge vor Augen geführt werden, vor allem solche, die er sowieso nicht leiden kann.
Er macht sich auf den Weg, aber als er das Haus verlässt, steht auf der anderen Straßenseite eines von diesen blassen Kopftuchmädchen, nein, nicht eines, es ist Nezahat, die Schwester des Toten – hat sie ihn abgepasst? Er bleibt stehen und versucht ihr ein aufmunterndes Lächeln zuzuwerfen. »Wollten Sie zu mir?«
Das Lächeln bleibt unerwidert. »Können Sie mir helfen, dass ich meinen Bruder noch einmal sehen kann? Ich meine, bevor der Bestatter kommt und ihn herrichtet?«
Berndorf antwortet, dass er genau das auch vorhat – sich den Toten anzusehen –, und so gehen sie gemeinsam zur U-Bahn, es sind zweihundert oder dreihundert Meter zur nächsten Station. Während sie so
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