Schlangenkopf
klingt, und diese Leute, die gerade mein Büro ausräumen, die bringen es fertig und stecken den guten alten warmherzigen Bilch ganz einfach in den Knast, wenn sie ihn nur kriegen.« Er beugt sich vor und wendet den Kopf zu André. »Wenn wir im Wilden Westen wären, würden sie wahrscheinlich ein Kopfgeld auf mich aussetzen, und dann könntest du mich ihnen bringen, und mit dem Kopfgeld die Miete zahlen. Aber leider!«
»Das würd ich nicht tun«, antwortet André stolz.
»Ich weiß nicht«, meint der Bilch. »Für Geld tun Leute vieles. Fast alles. Na gut. Aber sag mal, was hast du da eigentlich für einen Verband?«
»Ach, bloß so eine Sehnenentzündung, ist schon fast wieder gut.«
»Sehnenscheidenentzündung? In deinem Alter?« Der Bilch schüttelt den Kopf. »Da war doch irgendwas mit jemand, der so einen Verband hatte, eine komische Geschichte, hab sie schon wieder vergessen. Aber egal, ich muss weiter. Auch wenn ich nicht weiß, wohin.« Er nickt André zu. »Mach’s gut und grüß Elke. Wo hast du noch mal gesagt, dass sie ist?«
»In der Erholung«, antwortet André und bleibt sitzen und sieht dem Bilch nach, wie er durch den Park geht und plötzlich verschwunden ist. Wenn der Bilch Glück hat, denkt er, dann schafft er es bis zu den Hackeschen Höfen, dann ist er erstmal weg, am besten mit der S-Bahn.
Was man so Glück nennen kann!
B erndorf sieht sich um: Ein Tagescafé wie viele andere auch, die Polsterstühle ein wenig durchgesessen, Wände und Decke noch angegraut aus den Jahren vor dem Rauchverbot. Die Gäste freilich sind andere als sonst in den Cafés der Stadt – zumeist ältere, aber nicht unbedingt gesetzte Männer, die einen von leicht fadenscheiniger Eleganz der Kleidung und ebensolcher Wortgewandtheit, die anderen nun auch nicht gerade taufrisch, sondern zerknittert von allerhand Sorgen und zugleich doch aufrechterhalten von der Hoffnung auf irgendein fernes Gelingen. Hätte man auf das halblaute Gemurmel an den Tischen geachtet, so hätte man von Beweisanträgen und Versäumnisurteilen und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hören können, denn dieses Café befindet sich unweit der Ruine des Grauen Klosters und damit auch in unmittelbarer Nähe der Gerichtsgebäude von Berlin-Mitte.
Ihr, die hier eintretet …, denkt Berndorf und verscheucht den Gedanken gleich wieder. Er betrachtet sein Gegenüber, den Fotografen oder besser: Fotoreporter Gregor Örtlein, einen schmalen Mann mit müden, angestrengten Augen, die eng im Gesicht stehen, und den weißen Haaren, die mancher schon sehr früh bekommt. Sie haben bereits bestellt – Örtlein einen doppelten Espresso, Berndorf einen grünen Tee – und sehen sich nun an, als warteten sie darauf, wer von ihnen die Partie eröffnet.
»Sie sind also Privatdetektiv und ermitteln in einem offenbar ungeklärten Todesfall«, ergreift Örtlein schließlich das Wort, »und dieser Todesfall soll etwas zu tun haben mit diesem einen Foto, das ich vor fünfzehn Jahren gemacht habe. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber das alles möchte ich etwas genauer wissen.«
Berndorf muss nicht sofort antworten, denn die Bedienung kommt und serviert Espresso und Tee. »Unter den Männern, die Sie fotografiert haben, befindet sich einer, der heute in Berlin lebt, oder vielmehr: der sich bisher in Berlin aufgehalten hat …« Er faltet den Zeitungsausschnitt auseinander und deutet auf den Mann mit dem nackten Oberkörper im Vordergrund. »Es ist dieser hier.«
»Ist er der Tote?«
»Nein. Der Tote ist ein sehr viel jüngerer Mann, er ist bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen«, antwortet Berndorf. »Dieser Unfall wirft einige Fragen auf, die aber leider nicht beantwortet werden können, weil der beteiligte Fahrer das Weite gesucht hat. Eine der Fragen könnte sein, ob dieser Fahrer sich nicht vielleicht in der Person geirrt hat.«
Örtlein schüttelt den Kopf. »Das ist mir zu kompliziert. Soll das heißen, es war gar kein Unfall?«
»Zum Beispiel.«
»Und der Fahrer hat eigentlich den da …« Örtlein deutet auf den Zeitungsausschnitt, »meinen Muselmann von damals erwischen wollen?«
Berndorf schweigt. Er trinkt einen Schluck Tee und betrachtet die Wand, an der gerahmte Karikaturen im Stil von Honoré Daumier hängen: Szenen aus der menschlichen Komödie, wie sie sich vor Gericht darstellt.
»Was nun?«, fragt Örtlein. »Sie waren es, der mir ein Gespräch aufdrängen wollte. Aber wenn Sie meinen, dann ruf ich einfach bei der Polizei an, soviel
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