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Schlangenkopf

Schlangenkopf

Titel: Schlangenkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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ich weiß, hat es gestern oder vorgestern einen tödlichen Unfall im Stadtgebiet gegeben, einen mit Fahrerflucht …«
    »Das wird Ihnen nicht viel bringen«, antwortet Berndorf. »Ihnen fehlt das Verbindungsstück zwischen den beiden Männern.«
    »Und Sie haben das?«
    Berndorf zuckt mit den Schultern. »Erzählen Sie mir, wie diese Aufnahme zustande kam.«
    »Na gut«, sagt Örtlein und nippt an seinem doppelten Espresso und verzieht das Gesicht, »ich hab nichts zu verbergen. Es war im Sommer 1993, da kam ein Angebot an die Redaktion, eine Gruppe von Abgeordneten nach Kroatien zu begleiten, was heißt eine Gruppe! Drei Stück waren es, und die Redaktion war auch nicht sehr begeistert, dieser Jugoslawienkrieg samt all seinen Gräueln und Vergewaltigungen und Massakern war so etwas von ausgelutscht, jeden Tag haben die Serben von den Bergen rund um Sarajewo ein Scheibenschießen auf die Leute dort veranstaltet … Irgendwann war all das einfach keine Nachricht mehr, und so haben sie die Einladung an mich weitergereicht, damit der freie Mitarbeiter Örtlein auch mal was von der Welt sieht.«
    »Und Sie sind mitgefahren. Was haben Sie sich davon versprochen?«
    »Ja, ich dachte, ach, ich weiß gar nicht mehr, was ich dachte, dass Kroatien ein schönes Land ist und dass ich mal wieder was anderes sehen und fotografieren will als Politiker, die aus Limousinen steigen.« Örtlein schüttet noch etwas Zucker in seinen Espresso. »Alles Quatsch. Ich dachte, ich schaff es, ein Bild davon zu schießen, wie der Krieg aussieht, wenn er für einen kurzen Augenblick Ruhe gibt. Aus Vietnam ist mir ein Bild in Erinnerung, da hatten die Vietcong die Amerikaner irgendwo eingekesselt, und ein Kollege hat einen GI fotografiert, der zwischen Sandsäcken schlief, und neben ihm lag ein kleiner weißer ringelschwänziger Hund, den hatte der GI mit einem Bindfaden an sein Handgelenk angebunden, der Hund sollte ihn wecken, wenn der Vietcong sich wieder rührte …«
    »Khe Sanh, 1968«, sagt Berndorf, der sich an das Foto erinnert.
    »Ah ja?«, fragt Örtlein zurück. »Dann verstehen Sie, was ich meine, also, auf so ein Bild hab ich gehofft, aber zuerst war einmal gar nichts. Wir hockten in Zagreb herum, die Kroaten waren scheißfreundlich, haben aber ständig versucht, einen mit Slibowitz abzufüllen oder einem eine Hure anzubieten, vermutlich, weil sie diesen Abgeordneten nicht getraut haben, außerdem wuselten auch allerhand Leute von der Deutschen Botschaft oder dem Generalkonsulat herum, so genau weiß ich das alles nicht mehr …«
    »Wissen Sie noch, welche Abgeordneten dabei waren?«
    »Nix Prominentes. Einer ist tot, der war von der Staatspartei, hat wohl Krebs bekommen, ich erinnere mich, dass es irgendwo einen kleinen Nachruf gab – jetzt hab ich den Namen wieder: Eschle, Ulrich Eschle, jetzt seh ich ihn wieder vor mir, wie er sich die Leinenjacke über den Arm hängt und sich Luft mit seinem Strohhut zufächelt … Das muss an dem Nachmittag gewesen sein, als wir dieses Lager besichtigt haben.« Er deutet auf den Zeitungsausschnitt. »Am Morgen hatten wir einen Adriahafen besichtigt, das war nicht ungefährlich, die Serben hatten den Hafen im Visier, und wir mussten Schutzwesten tragen, kein Vergnügen bei der Hitze damals. Ich erinnere mich, dass es dann eine richtige Streiterei gab, mit Krisensitzung hinter verschlossener Tür, bis schließlich die Kroaten nachgegeben haben und wir mit Hubschraubern ins Landesinnere geflogen wurden, auf einer ziemlich krummen Route, weil man einen großen Bogen um die serbischen Raketenstellungen machen musste. Ein schöner Flug, nichts zu sagen, das ist eine wunderbare Landschaft mit diesen Dörfern und kleinen Städten, die alle auf Bergen erbaut sind. Erst aus der Luft können Sie das richtig sehen, das Braunrot der Dächer und das Muster der Gassen, die sich um die Kirchen herum die Hügel hinabziehen, das werde ich nie vergessen. Gelandet sind wir dann zwischen irgendwelchen struppigen graubraunen Bergen, in der Nähe von diesem Wallfahrtsort Medjugorje, falls Sie davon gehört haben.«
    Örtlein trinkt einen Schluck Espresso und starrt vor sich hin, als müsse er die Vergangenheit zurückholen.
    »Am Landeplatz war ein Mast, an dem eine Fahne mit diesem Schachbrett-Wappen schlapp herunterhing, und ein paar Uniformierte hatten Aufstellung genommen, das sah ziemlich jämmerlich aus, und salutierten, das sah ebenfalls jämmerlich aus, und sie salutierten auch nicht uns, sondern dem

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