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Schlangenlinien

Titel: Schlangenlinien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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wurde.
    Ich habe stets bedauert, dass ihr Leben auf diese Art endete. Sie war keine umgängliche Frau, das wissen Sie ja selbst. Und auch wenn meine Besuche amtlicher Natur waren, so glaube ich doch, dass sie in mir einen Freund sah, und es macht mich traurig, dass sie nicht daran dachte, mich zu rufen, als ich ihr hätte helfen können.
    Mit freundlichen Grüßen
John Howlett
    * * *
39 LYVEDON AVENUE, RICHMOND, SURREY
    John Howlett, Esq
White Cottage
Littlehampton
Nr Preston
Lancashire
    23. März 1983
    Lieber Mr. Howlett,

danke für Ihren Brief vom 7. März. Ich möchte Ihnen doch berichten, dass ich Annie zwei Monate vor ihrem Tod in ihrem Haus besucht habe und keinerlei Anzeichen für Verwahrlosung vorgefunden habe. Ich selbst bin keine Katzenliebhaberin und habe von den Katzen, die ich an diesem Tag sah, weiter keine Notiz genommen. Wären es jedoch mehr als sonst gewesen, wäre es mir sicherlich aufgefallen. Ganz gewiss hat es im Haus nicht gestunken.
    Ich besuchte sie unter anderem, um ihr zu sagen, dass ich für ein Jahr weggehen würde. Wie ich gefürchtet hatte, nahm diese Neuigkeit sie ziemlich mit. Menschen mit Tourette-Syndrom mögen keine Veränderung. Wir saßen eine Stunde lang zusammen im Wohnzimmer, und ich erzählte ihr von dem Kollegen, der sie in meiner Abwesenheit übernehmen würde. Dabei hatte ich ausreichend Gelegenheit, mir das Zimmer und seine Einrichtung genauer anzusehen. Bevor ich ging, sagte sie, sie wolle mir ein Abschiedsgeschenk machen und ich solle mir etwas aussuchen. Wir verbrachten weitere 15 Minuten damit, uns ihre vielen Schätze – darunter viele Kleinigkeiten – anzusehen, und ich kann mit absoluter Sicherheit sagen, dass das Zimmer an diesem Tag – dem 8. September – voller Zierrat war.
    Leider habe ich größte Schwierigkeiten, die Polizei davon zu überzeugen, dass die nächstliegende Erklärung dafür, dass das Haus acht Wochen später »leer« war, in einem Diebstahl zu suchen ist. Ich habe Ihren Brief Sergeant James Drury gezeigt, einem der Beamten, die sie an diesem Tag begleitet haben. Er sagt, solange ich niemanden finde, der die Einrichtung des Hauses eine Woche vor ihrem Tod gesehen hat, müsse man, wie Sie, davon ausgehen, dass sie ihre Besitztümer verkauft hat, um ihre Alkoholsucht zu finanzieren. Das war sein sehr hilfreicher Beitrag! Weniger hilfreich war seine Unterstellung, mein Gedächtnis täusche mich, ja, schlimmer noch, ich löge vorsätzlich, um zu vertuschen, dass ich mich nicht ausreichend um das Wohlergehen meiner Patientin gekümmert hätte. Nichts davon trifft zu. Ich kann nicht oft genug wiederholen, dass Annie bei meinem letzten Besuch in guter körperlicher und seelischer Verfassung war. Es gab keine Anzeichen dafür, dass sie mehr trank als gewöhnlich, und sicherlich keine für Inkontinenz.
    Zum Zeitpunkt ihres Todes glaubte ich, meine vertraulichen Kenntnisse über sie beschränkten sich auf ihre Krankengeschichte. Jetzt ist mir klar, dass auch meine Bekanntschaft mit dem Inneren ihres Hauses vertraulicher Natur war; ich gehörte zu den wenigen Menschen, denen sie Zutritt gewährte. Sogar der Pfarrer musste draußen warten, da sie ihm wegen seiner Freundschaft zu ihren Nachbarn misstraute. Ich habe eine Sozialarbeiterin ausfindig gemacht, die im Jahre 1977 ins Wohnzimmer geführt wurde, aber ihre Besichtigung des Zimmers liegt zu weit zurück, um von Wert zu sein, auch wenn ihre Beschreibung sich mit meiner deckt. Aus demselben Grund nimmt Sergeant Drury keine Notiz von Ihren Erinnerungen an »auffallende Gemälde«, »Pfauenfedern« und »Scherenschnitte«. Obwohl Ihr letzter Besuch erst im August 1978 stattfand – aber drei Monate sind Zeit genug, um sich all dieser Dinge zu entledigen.
    Ich will Sie nicht länger mit meinem Zorn (und meiner Wut!) über einen Polizisten langweilen, der sowohl mein Gedächtnis als auch mein berufliches Können in Frage stellt und offensichtlich überhaupt nicht daran interessiert ist, einen alten Fall wieder aufzurollen. Aber ich würde doch gern wissen, ob Sie sich erinnern, was auf der rechten Seite des Kaminsimses stand. Das Abschiedsgeschenk von Annie, das ich immer noch habe, kam von dort, und es wäre wirklich sehr hilfreich, wenn ich Sergeant Drury wenigstens in dieser Beziehung beweisen könnte, dass ich mir nichts »einbilde«. Eine eindeutige und spontane Erinnerung einer ihrer wenigen Freunde wäre von großem Wert.
    Ich muss sagen, dass ich weder von Sergeant Drury noch vom Coroner

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