Schlangenlinien
nach der verrückten Annie geschlagen hat und dann ausgerutscht und auf der Straße gelandet ist. Das war auch ganz schön komisch. Diese dumme Kuh war unheimlich eingebildet.
Ich nehme an, eigentlich wollen Sie wissen, wer Annie getötet hat, aber das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich weiß noch, dass meine Mutter total geplättet war, als sie hörte, dass sie tot ist – das kann ich also mit Sicherheit sagen, dass meine Mutter und ich es nicht getan haben. Wenn Sie mich fragen, hat der Lastwagen sie zusammengefahren, genau wie die Polizei behauptet. Tut mir Leid, wenn Sie das enttäuscht.
Ihr Freund
Michael Percy
* * *
Bitte adressieren Sie Ihre Antwort wie folgt:
Häftlingsnummer: V50934
Name: Michael Percy
Trakt: B 2
TRAKT: B 2
STRAFANSTALT THE VERNE
PORTLAND
DORSET
DT5 1EQ
23. Februar 1999
An:
Mrs. M. Ranelagh
»Jacaranda«
Hightor Road
Kapstadt
Südafrika
Liebe Mrs. Ranelagh,
meine gute Handschrift ist nur Ihr Verdienst. Ich erinnere mich, wie Sie uns die Schreibschrift beigebracht und gesagt haben, mit einer ordentlichen Handschrift würde man immer Arbeit finden. Das hat zwar bei mir nicht geklappt, aber nur weil ich nicht einsehen konnte, warum ich schuften soll wie ein Blöder, wenn bei einem Überfall auf einen Laden oder ein Postamt viel mehr herausspringt. Aber ich hab mir mit meiner Handschrift immer Mühe gegeben, in der Hinsicht haben Sie auf jeden Fall was erreicht. Und gut ausdrücken kann ich mich heute noch. Das hab ich auch Ihnen zu verdanken. Sie haben immer gesagt, mit einem guten Wortschatz macht man immer einen guten Eindruck.
Eines Tages werde ich Ihnen von mir und Bridget erzählen – ihr habe ich es zu verdanken, dass ich hier bin. Klar, ich musste ja auch die einzige Frau auf der ganzen Welt heiraten, der es lieber war, ihren Mann im Gefängnis zu besuchen als das Risiko einzugehen, dass er irgendwann mal jemanden umbringt. Sie erinnern sich vielleicht an sie. Sie wohnte uns gegenüber in der Graham Road und hatte lange blonde Haare, bis sie sie eines Tages abgeschnitten und Ihnen in den Briefkasten gesteckt hat – als Opfer. Sie ist immer noch bildhübsch und steht zu mir, obwohl ich ihr immer wieder sage, dass sie jung genug ist, um einen anderen zu finden und Kinder zu bekommen. Immerhin – wenn ich mich gut führe, bin ich vielleicht nächstes Jahr schon draußen.
Aber jetzt zu Ihren Fragen:
Den Namen der Frau, die Annie ein Flittchen nannte, weiß ich nicht mehr, aber ich glaube, ihr Mann war Kunde bei meiner Mutter. Ich war allerdings nie lange genug im Haus, um ihn mir richtig anzusehen. Für mich waren das alles Scheißkerle.
Alle haben damals bei Annie gestohlen. Ich würde sagen, dass Alan und seine Schwestern es am schlimmsten getrieben haben, aber wir anderen machten auch mit. Die Mädchen haben uns dazu angestachelt. In den Kommoden und Schränken bei Annie war haufenweise billiger Schmuck und solches Zeug, das sie ganz toll fand. Annie hat wegen der Katzen immer ihre Hintertür offen gelassen, und für uns war es ein Kinderspiel, sie reinzulegen. Einer hat sie vorn an der Tür beschäftigt gehalten, und der andere hat sich hinten ins Haus geschlichen. Nachdem sie die Katzenklappe eingebaut hatte, war es nicht mehr so leicht. Von da an hat sie die Hintertür immer verriegelt, aber zum Glück schloss das untere Klofenster nicht richtig, und der kleine Danny Slater war dünn genug, um da einzusteigen. Er war zwar bestimmt nicht älter als vier, aber ein richtig heller kleiner Bursche. Er ist vom Klo aus in die Küche geschlichen, auf einen Stuhl gestiegen und hat die Riegel hinten aufgemacht. Alan hat ihm sogar beigebracht, sie hinterher wieder zuzuschieben. Wenn wir im Haus fertig waren, ist er dann auf den Klodeckel gestiegen und durchs Fenster wieder rausgeklettert. Ich weiß nicht, ob Annie merkte, dass ihre Sachen verschwanden – wir stellten immer alles so hin, dass es nicht zu sehr auffiel –, aber Alan sagte, sie hätte irgendjemanden geholt und alles, was sie im Haus hatte, in eine Liste aufnehmen lassen. Wahrscheinlich hat sie also doch etwas gemerkt. Nachdem sie mit dem Hackmesser auf Alan losgegangen war, haben wir mit der Sache Schluss gemacht, weil wir es zu riskant fanden. Wenn ich mich recht erinnere, war das ein oder zwei Monate vor ihrem Tod.
Warum wir es getan haben? Aus Jux, nehme ich an. Ich glaube, keiner von uns hat sich diese Frage je gestellt. Ich weiß nur, dass es unheimlich aufregend war, im Haus einer Verrückten herumzuschleichen,
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