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Schlangenlinien

Titel: Schlangenlinien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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in dem es noch dazu eine Menge zu holen gab. Wegen Geld haben wir es nicht getan. Wir hielten das meiste, was sie hatte, für wertlosen Schund – wie zum Beispiel die Holzfigur. Aber ich erinnere mich, dass Alans Mutter Bridget einmal einen Ring abgenommen hat, weil sie meinte, er sähe wertvoll aus. Sie hat ihn verhökert und sich für das Geld Wodka gekauft. Anscheinend war er wirklich was wert gewesen.
Über den Abend, an dem der Unfall geschah, weiß ich nicht viel. Ich erinnere mich nur, dass ich gegen Mitternacht nach Hause kam und meine Mutter sagte, ich hätte den ganzen Spaß verpasst. Die verrückte Ziege von nebenan wär von einem Lastwagen überfahren worden, sagte sie. Ich habe keine Ahnung mehr, was ich an dem Abend getan habe, das Gleiche wie immer, nehme ich an – im Spielsalon geflippert.
Vom Tag darauf habe ich nur noch in Erinnerung, dass meine Mutter und ich es kaum glauben konnten, als wir hörten, wie viele Katzen in dem Haus gefunden wurden. Wir hatten keine Ahnung gehabt, dass Annie so viele gehabt hatte.
    Wenn ich das jetzt noch einmal lese, klingt es alles ziemlich schrecklich, und ich hoffe, Sie sind nicht allzu sehr entsetzt. Aber so ist das mit der Wahrheit – wenn man nur die nackten Tatsachen erzählt, klingt sie viel schlimmer. Dass es da auch noch eine andere Seite gibt, kommt meistens nicht heraus. Damit will ich sagen, dass wir alle eine Heidenangst vor Annie hatten, weil sie verrückt war, und Alans Mutter behauptete, sie wäre eine Hexe und hielte sich Hühner, mit denen sie die scheußlichsten Sachen machte. Ich weiß, das klingt total bescheuert, aber damals – wir hielten uns für die größten Helden, dass wir uns überhaupt in ihr Haus wagten. Alan war überzeugt, sie könnte uns mit einem einzigen Blick in Frösche verwandeln oder so was.
    Ich hoffe, das hilft Ihnen weiter.
    Ihr Freund
    Michael

13
    Ich weiß nicht, ob es reicht, wenn ich sage, dass ich mich an Drury rächen wollte, weil ich ihn hasste. Für Hass sollte man Gründe haben; er sollte nicht allein auf einer rein gefühlsmäßigen Abneigung beruhen, die so heftig ist, dass man schon bei der Erwähnung eines Namens rot sieht. Dr. Elias fragte mich mehrmals, warum ich so starke Emotionen an einen Menschen verschwendete, den ich nur wenige Wochen gekannt hatte, aber ich konnte mich nie dazu durchringen, ihm eine Antwort zu geben, weil ich fürchtete, sie würde sich völlig irrsinnig anhören.
    Er hatte sich in den vergangenen zwanzig Jahren kaum verändert, nur sein Haar war grau geworden, und seine Augen wirkten dunkler und noch unergründlicher. Er war so alt wie Sam, aber er war immer härter, stärker und attraktiver gewesen. Er war ein Typ, auf den Frauen unweigerlich flogen und dies unweigerlich bereuten, wenn sich erwies, dass das Image des harten Burschen – hinter dem sich ein tiefer Frauenhass verbarg – unwandelbare Realität war.
    Er musterte uns mit Belustigung, als wir näher kamen. »Ah, Mrs. Ranelagh.« Mit einer Kopfbewegung und einem ironischen Lächeln wies er auf Danny. »Wo haben Sie denn den Typen aufgegabelt? Was ist er – Schoßhund oder Wachhund?«
    Mein Mund war strohtrocken. »Moralische Unterstützung«, antwortete ich.
    Sein Grinsen wurde breiter. »Und wozu brauchen Sie die?«
    »Weil Ihnen das hier ganz sicher nicht gefallen wird.« Ich zog mehrere Fotografien aus meiner Tasche und legte sie auf den Tresen.
    Er wollte nach ihnen greifen, aber Danny kam ihm zuvor. »Ist das die Schwarze, von der Sie erzählt haben?«, fragte er.
    »Ja.«
    »Die sieht ja aus, als wär sie mit einem Baseballschläger verdroschen worden«, sagte er und legte die Bilder wieder auf den Tresen.
    »Ja, nicht wahr?« Ich tippte mit der Fingerspitze auf das oberste und schob es zur Seite, um die fünf darunter liegenden Fotos aufzufächern. Schlimme Bilder allesamt. Sie zeigten die tote Annie, das aufgeschwollene, von Blutergüssen entstellte Gesicht, den geschundenen rechten Arm, von einem Hämatom verfärbt, das von der Schulter bis zum Handgelenk reichte.
    »Mr. Drury entschied, dass all diese Verletzungen durch einen einzigen kurzen Aufprall gegen einen vorüberfahrenden Lastwagen verursacht wurden und innerhalb von dreißig Minuten zum Tod führten – aber ich finde niemanden, der mit ihm einer Meinung ist. Diese Bilder wurden 1978 bei der Autopsie aufgenommen. Ich habe sie von zwei Pathologen begutachten lassen – unabhängig voneinander –, und beide sagen, dass der Bluterguss am Arm auf ein

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