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Schlangenlinien

Titel: Schlangenlinien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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ich weiß, dass sie dringend nach Hause wollte. Den ganzen Weg sagte sie immer wieder, sie wolle nur noch heim, weil ihr von dem vielen Champagner, den sie getrunken hatte, hundsmiserabel schlecht sei.«
    »Aber wenn der Dienstag
dein
Tag war, wieso ist sie dann mit einem anderen Kerl losgezogen?«
    »Sie war eine Professionelle«, antwortete er sarkastisch. »Der andere hat mehr Geld geboten.«
    »Hat sie dir gesagt, wer es war?«
    »Nein, einen Namen hat sie nicht genannt. Sie sagte nur, es sei auch ein Stammkunde, und sie könne sich nicht leisten, ihn zu enttäuschen.«
    »Geoffrey Spalding war einer ihrer Kunden«, sagte ich nachdenklich. »Er ist einmal im Monat mit Sharon ins Hotel gegangen, weil er vermeiden wollte, dass seine Frau, die sterbenskrank war, und seine Töchter davon erfuhren.« Ich lachte über seinen Gesichtsausdruck. »Nein, das hab ich nicht von Libby. Das hab ich von Sharons Sohn Michael. Ich habe ihm ins Gefängnis geschrieben.«
    »Wie reizend von dir«, sagte er trocken. »Der Junge war ein elender kleiner Sadist, das kann ich dir sagen. Er hat Annies Katzen nur zum Spaß die Schnurrhaare ausgerissen. Weißt du, warum er sitzt?«
    Ich nickte.
    »Dann solltest du vorsichtig sein. Seine Mutter hatte höllische Angst vor ihm. Und mit Recht. Er war ein unglaublich jähzorniger Bursche.«
    Ich beobachtete die Katze, die faul in der Nachmittagssonne lag und sich putzte. »Weißt du, eines habe ich nie verstanden, Jock – warum keiner von euch beiden, weder du noch Sharon, angehalten hat, um zu sehen, ob Annie am Leben war. Ihr müsst sie gesehen haben. Sharon musste ja praktisch über sie hinwegsteigen, um die Straße überqueren zu können.«
    »Wir haben sie wirklich nicht gesehen«, antwortete er. »Ich hab Sharon später danach gefragt. Sie ist kreideweiß geworden und flehte mich immer nur an, den Mund zu halten, damit wir nicht womöglich in die Sache hineingezogen würden.«
    Viel mehr schien es nicht zu sagen zu geben, aber ich fand nicht die Kraft, mich aus meinem Sessel zu erheben. Die Fahrt nach Hause hatte nichts Verlockendes, und wie die Katze wünschte ich mir nichts mehr, als mich gemütlich zusammenzurollen und zu vergessen, dass das Leben kompliziert war. Vielleicht ging es Jock ähnlich; die Schatten nämlich waren merklich länger geworden, als er endlich wieder sprach.
    »Du hast dich verändert«, sagte er.
    »Ja«, stimmte ich zu.
    Er lächelte. »Willst du mich nicht fragen, inwiefern?«
    »Wozu?« Ich drückte meinen Kopf in die Rückenlehne des Sessels und starrte zur Decke hinauf. »Ich weiß, was du sagen wirst.«
    »Was denn?«
    »Dass ich entspannter bin als früher.«
    »Woher wusstest du das?«
    »Sam sagt das immer.«
    »Ja, du bist früher ziemlich schnell hochgegangen«, sagte er. »Ich weiß noch, wie ich einmal zu euch kam und mir als Erstes eine Bratpfanne um die Ohren flog.«
    Ich lachte bei der Erinnerung und drehte den Kopf, um ihn anzusehen. »Nur weil du und Sam volltrunken mitten in der Nacht nach Hause kamt und unten solchen Krach gemacht habt, dass ich fast aus dem Bett gefallen bin. Und kaum kam ich runter, wolltet ihr was zu essen haben. Worauf ich sagte, ihr könntet euch selbst was machen, und euch die Pfanne zugeworfen habe. Ihr hättet sie fangen sollen, statt ängstlich den Kopf einzuziehen.«
    »Ach, tatsächlich?«, fragte er trocken. »Wie kommt es dann, dass ein großer Teil des Geschirrs auch noch dran glauben musste?«
    Ich dachte zurück. »Ich war fuchsteufelswild, vor allen Dingen, weil am nächsten Tag der Schulrat in den Unterricht kommen wollte. Aber ich hab diese Teller sowieso nicht gemocht. Sams Mutter hatte sie uns geschenkt.«
    Wir lächelten einander an. »Ich hab nie herausbekommen, wo ihr damals eigentlich gewesen seid«, bemerkte ich beiläufig. »Ihr habt geschworen, ihr wärt in einem Pub gewesen, aber das konnte gar nicht stimmen, weil die Pubs um elf schließen.«
    Er zögerte nur kurz, dann sagte er: »Es war ein Striplokal in Soho. Sam hatte Angst, du würdest Theater machen.«
    Ich zuckte die Achseln. »War die hübsche kleine Sekretärin auch mit?«, fragte ich. »Das war doch im Oktober – da hat es sie noch gegeben.«
    Er schüttelte den Kopf. »Sam hätte nie eine Frau in ein Striplokal geführt.«
    Ich beugte mich vor, um die Fotografien von Annie wieder in meinen Rucksack zu packen. »Hast du sie eigentlich mal kennen gelernt, Jock?«
    »Nein.«
    »Dann hast du also nur Sams Wort darauf, dass es sie gegeben

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