Schlangenspuk - Dorothea K. - Schachmatt
diese Seite von Giulias Charakter recht spät bemerkt und sich zunächst von ihrer hemmungslosen, alles opfernden Liebe verzaubern lassen. Für diese Frau schien das Wort Hingabe nämlich erfunden worden zu sein. Sie schenkte sich vollkommen und rückhaltlos her, kannte keinen Argwohn und keine Zweifel, wollte ganz und gar mit dem Mann verschmelzen, den sie anhimmelte.
Und wurde mit jeder Sekunde lästiger.
Es mochte hart klingen, aber Salvatore zermarterte sich seit Tagen den Kopf darüber, wie er seine aktuelle Flamme am besten loswurde. Nicht in dem Sinne, wie es die notorisch skrupellosen Protagonisten rabenschwarzer Frauenkrimis meinten, wenn sie so etwas dachten – nein, er würde sie ganz bestimmt weder vergiften noch mit einer komplizierten, detektivsicheren Mechanik dafür sorgen, dass sie beim Fensterputzen aus dem Fenster fiel. Bei „Loswerden“ dachte er an ein vernünftiges Gespräch zwischen erwachsenen Menschen. Ein schönes Restaurant mit nicht zu jungen Kellnern, im Glas ein nicht zu süffiger Wein, auf dem Teller ein zartes Stück totes Tier, und dann ein vernünftiges, stilvolles Gespräch, in dem es um Dinge wie Freiheit, Jugend oder die Definition von Glück ging. Ein Dialog, bei dem man etwas dazulernte und nach dem man sich noch in die Augen schauen konnte, ein wenig wehmütig vielleicht, aber ohne Zorn oder Hass.
Salvatore war ein Gentleman. Seine persönliche Stärke war es, Frauen anzuziehen, nicht, sie abzuschütteln. Er verletzte eine Frau nicht gerne. Schluss zu machen, fiel ihm immer schwer. Nicht alle Damen waren bereit, eine leidenschaftliche Beziehung ganz natürlich auslaufen zu lassen oder mit einem stilvollen Abschied zu besiegeln. Aber selten hatte er dem Ende eines Abenteuers mit so viel Sorge entgegengesehen wie dieses Mal. Er sah im Geiste schon Tränen fließen und Wunden in das sorgfältig aufgetragene Make-up reißen.
„Reifenspuren“, stellte Giulia fest.
Der Mann entdeckte die mächtigen Furchen ebenfalls. Das Gras war nicht so unberührt, wie es auf den ersten Blick gewirkt hatte. Es sah aus, als hätte sich ein schwerer Transporter den Hügel hinauf gekämpft. Allerdings handelte es sich nicht um frische Spuren. Er schätzte, dass sie bereits einige Wochen alt waren. Im nächsten Augenblick erkannte er auch, was sie hier zu suchen hatten.
Fast genau auf der Spitze des grünen Hügels thronte eine hellblaue, quaderförmige Fertighütte, wie man sie auf Baustellen antraf. Da der Untergrund nicht ganz eben war, hatte man sie auf einer Seite mit gewaltigen Balken unterlegt. Doch auch diese konnten nicht verhindern, dass der Kasten mächtig Schlagseite hatte.
„Und ich dachte, Stefane hat überall sein Wigwam dabei“, murmelte Salvatore. Er erinnerte sich gut an das stattliche graue Zelt, das an allen Ausgrabungsstätten zu finden war, wo der junge Archäologe tätig wurde. Die Front wurde von einer riesigen, selbst gemalten, absolut indiskutablen Interpretation eines chinesischen Drachen geziert, und das Innere bot jedes Mal ein Chaos, in dem sich nur Stefane Rosina selbst zurechtfand.
Von diesem Zelt war hier nichts zu sehen. Vermutlich hatte es etwas mit dem windigen Klima zu tun, dass er dieses Mal auf den Container zurückgreifen musste.
Salvatore und die anhängliche Giulia humpelten wie zwei siamesische Zwillinge den Hang hinauf. Der Himmel lud wieder eine feuchte Windbö über ihnen ab, einige schwere Tropfen, wie eine Drohung.
Sie duckten sich und waren froh, als sie den Windschatten der Hütte erreicht hatten. Salvatore klopfte gegen ein winziges beschlagenes Fenster und warf einen Blick ins Innere.
Das Durcheinander stand jenem, das er aus Stefanes Zelten gewöhnt war, um nichts nach. Ringsum standen überladene Tische, soviel konnte er erkennen. Auf der linken Seite saß ein enorm dicker Mann auf einem viel zu kleinen Stuhl und tippte im Einfingersystem auf der Tastatur eines Computers herum. Es war schwer zu sagen, ob das Grüne auf dem schwarzen Monitor Space Invaders oder MS-DOS-Textblöcke waren. Dass es klopfte, schien ihn nicht sehr zu interessieren.
Einen Moment später kam aus der rechten Ecke des Raumes ein langer, spindeldürrer Junge angelaufen und öffnete das Fenster.
„Salvatore!“ Sein Gesicht legte sich in tausend jugendliche Lachfalten. „Schön, dass du da bist. Der Eingang ist auf der anderen Seite.“
„Ciao, Stefane!“, rief Salvatore mit erhobener Hand und machte sich auf den Weg um die Hütte herum. Als sie vorne
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