Schlangenspuk - Dorothea K. - Schachmatt
angegriffen und ihr gedroht hatte, sie zu töten. Und auch später, als die Rothaarige, die es zuerst für sich behalten hatte, den anderen davon berichtete, war Artur nicht zugegen gewesen. Sie beide waren ja eben erst zurückgekehrt.
„Was ist los?“ Arturs Blick ging zwischen Melanie und der Japanerin hin und her. „Was hast du gegen Madoka? Sie hat dir doch nichts getan!“
Melanie sorgte in diesem Moment dafür, dass Arturs Irrtum aufgeklärt wurde. Sie tat es vor den Augen aller, denn mittlerweile hielt es niemanden mehr im Seminarraum. Alle kamen sie in die Halle geströmt.
„Dieses Stück Dreck“, sagte Melanie, und es passte überhaupt nicht zu ihr, „hat mir angedroht, mich zu ermorden. Erinnerst du dich noch, wie du es getan hast, du perverse Irre?“ Ihre Aussprache hatte etwas Zischendes, Spuckendes angenommen.
Als Madoka nicht antwortete, lief Melanie auf sie zu, packte ihre rechte Hand und hielt sie hoch. Die langen weißen Fingernägel, die die Japanerin ihrem Opfer in die Augen zu stoßen gedroht hatte, standen in die Höhe. Melanie umfasste die Hand wie eine Trophäe.
„Vorsicht“, wisperte Madoka, ohne die Lippen zu bewegen und gerade so laut, dass ihr Gegenüber es hören konnte. „Ich bin immer noch stärker als du.“
Jetzt war Artur neben den beiden Frauen. „Aufhören!“, schrie er und war drauf und dran, Madoka zur Rede zu stellen, zu fragen, ob Melanies Worte der Wahrheit entsprachen. Doch er brauchte nur ihren Blick zu streifen, um zu wissen, dass diese Frage das Vertrauensverhältnis, das zwischen ihnen entstanden war, zerstören würde – unwiederbringlich vielleicht.
Die Asiatin war eine Statue, versteinert, ausdruckslos, weiß, unmenschlich. Nur ihr Blinzeln verriet, dass sie lebte.
Artur hatte damit gerechnet, dass sich zwischen Madoka und Melanie ein Eifersuchtsdrama anbahnen mochte, falls Artur und Madoka sich noch näher kamen und Melanie tatsächlich Gefühle für ihn hegte. Doch dass es so früh schon zu einer solchen Eskalation kommen würde …
Sein Blick ging in die Runde und traf auch das glitschige Nichts, von dem er nur wusste, dass es Dorothea Kayser hieß. Die Studentin stand in der ersten Reihe der Zuschauer, und doch war sie verborgen, unkenntlich. Seine Wahrnehmung tropfte an ihr ab. Sie war dagegen imprägniert.
Nichts passte mehr zusammen. Drei Frauen hatten seine Welt auseinandergenommen.
Dorothea war eine davon, doch den ersten Schlag hatte ihm Madoka beigebracht. Auf der Jagd nach einem Spion und einer tieferen Wahrheit verdächtigte sie aus heiterem Himmel Menschen, die er bislang für aufrichtig und vertrauenswürdig gehalten hatte. Artur wurde bewusst, dass der Spion, falls es ihn wirklich gab, vermutlich in diesem Moment unter ihnen war. Würde er das, was sich hier abspielte, ebenfalls an seine unbekannten Auftraggeber weiterleiten?
Melanie, die er als stilles, zurückhaltendes Mädchen in Erinnerung gehabt hatte und die ihm von Anfang an sympathisch gewesen war, gebar sich wie eine Furie und sprach fürchterliche Anschuldigungen gegen Madoka aus. Anschuldigungen, die Madoka nicht etwa entrüstet von sich wies, sondern unkommentiert ließ!
Warum?
War Madoka einfach schockiert gewesen, von der Situation überfordert? Oder hatte sie ihm Lügenmärchen aufgetischt? War es in Wirklichkeit sie, von der eine Gefahr für die Bewohner von Schloss Falkengrund ausging?
Waren all diese Blätter mit den Namen und mit den kindischen Plus- und Minuszeichen nur Tricks, um von sich selbst abzulenken?
Artur stellte fest, dass er in diesem Moment wieder das geworden war, was er am Tag seiner Anreise gewesen war.
Ein Fremder. Ein Uneingeweihter.
Ausgeschlossen von der Wahrheit.
ENDE DER EPISODE
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Nr. 20 -
Schachmatt für Schwarz
1
Der Fremde kommt über die große Ebene ins Dorf.
Die Ebene sieht ungefähr aus, als hätte ein eher gelangweilter denn zorniger Gott sie vom Himmel her mit zackigen kleinen Speeren beworfen, ein bisschen wie eine Dartscheibe, auf der niemals aufgeräumt wird. Distelgewächse stechen in seltsamen, blitzähnlichen Formen aus einer Erde, die selbst kaum nach Erde aussieht. Rings um das Dorf stehen sie dichter als in der Ferne.
Was die Theorie von dem sich langweilenden Gott zu bestätigen scheint. Einem Gott, der im Grunde ein erbärmlicher Dartspieler ist, sich im Laufe der Zeit aber dennoch näher an sein Ziel heranarbeitet. Ein Noch-nicht-Gott vielleicht, ein Azubi, ein Kreisligaspieler, ein Träger
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