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Schlangenspuk - Dorothea K. - Schachmatt

Schlangenspuk - Dorothea K. - Schachmatt

Titel: Schlangenspuk - Dorothea K. - Schachmatt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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es ein wenig dort hin und her, damit es nicht umfällt. Vermutlich hat er schon geahnt, dass die drei Menschen, die ihm gegenüberstehen, ihr einseitiges Gespräch unterbrechen werden, sobald ihre Aufmerksamkeit auf das Objekt gelenkt wird. Und tatsächlich: Sie verstummen wie auf Kommando, und Paul sieht so aus, als würde er sich eine Frage dazu überlegen, Gerold, als würde er gleich den Befehl geben, es von diesem Ort zu entfernen oder aufzumachen oder ihm zu übergeben, und Erik scheint es in den Fingern zu jucken, es anzufassen.
    „Ich brauche ein Zimmer für ein paar Tage“, spricht der Fremde. Ja, er sagt es nicht, er spricht es. Der Unterschied liegt gar nicht einmal in seiner Stimme oder in seiner Mimik. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass er abwartet, bis keiner der anderen mehr redet, und dann deutlich und nüchtern seinen Wunsch vorträgt. „Es sollte ein Bett zum Schlafen haben, einen Stuhl zum Sitzen und einen Tisch, damit ich den Inhalt dieses Koffers darauf ausbreiten kann. Der Raum sollte groß genug sein, um genügend Platz zu lassen, wenn man den Tisch in die Mitte stellt.“
    „Mehr nicht?“, meint Gerold. Natürlich mag das wie eine Frage erscheinen, und wir haben behauptet, Gerold würde niemals Fragen stellen. Bei genauem Hinsehen wird man erkennen, dass „Mehr nicht?“ schon allein deshalb keine Frage sein kann, weil Gerold niemals ernsthaft in Erwägung ziehen würde, dem unbekannten Reisenden irgendetwas Zusätzliches anzubieten. Also handelt es sich um einen Befehl, leicht getarnt zwar, aber eindeutig. Um einen Befehl mit der Bedeutung: „Stell bloß nicht auch noch Ansprüche, du dahergelaufener, mit Disteln behangener Streuner!“
    „Was ist in dem Koffer?“, erkundigt sich Paul endlich, und es ist eine echte Frage, weil er es wirklich wissen möchte. Er brennt geradezu darauf. Beide Hände stützen sich nämlich jetzt auf seinen Stock, und das ist ein untrügliches Zeichen seiner Erregung. Schließlich hat er nur auf einer Seite ein kurzes Bein, und nicht auf beiden. Hätte er links und rechts eines, bräuchte er nicht einen oder zwei Stöcke, sondern gar keinen. So merkwürdig ist manchmal das Leben.
    „Ich öffne ihn, sobald ich einen Tisch habe, um ihn darauf zu legen, und ein Zimmer, um den Tisch in die Mitte zu stellen und drum herum zu gehen.“ Das ist eine astreine Aussage, und Aussagen zu machen, dazu sind Gerold und Paul nur in den seltensten Fällen in der Lage. Aussagen können später gegen einen verwendet werden, und das ist oft unangenehm, wenn man sich getäuscht hat, oder wenn man sich in einer Sache nicht getäuscht hat, in der sich alle anderen täuschen. Der Fremde allerdings scheint nichts daran zu finden, sich festzulegen. Er ahnt, dass er seine drei unterschiedlichen Gesprächspartner damit fesseln kann. Wahrscheinlich, weil er weiß, dass in dieser Gegend nicht viel passiert und dass sich nicht jeden Tag Fremde mit schwarzen Koffern und daran geknüpften Bedingungen geschickt durch die Disteln schlängeln … und dennoch einen Mantel voller Distelsamen haben.
    Und so nimmt das Unglück seinen Lauf.
    Einige Tage später wird jemand den dreien eine Frage stellen: „Habt ihr nicht bedacht, dass dieser Fremde eine Gefahr für das Dorf bedeuten könnte?“
    Gerold wird mit einem Befehl antworten: „Hör gefälligst auf, mir Vorhaltungen für etwas zu machen, was nicht mehr zu ändern ist!“
    Paul wird eine Gegenfrage formulieren: „Woher hätte ich es denn ahnen sollen?“
    Und der kleine Erik wird ziemlich dreist, aber aufrichtig erwidern: „Doch, ich hatte daran gedacht. Und war begeistert davon. Wann geschieht bei uns schon einmal etwas Gefährliches? Man kann es doch nicht einfach wegschicken! Wer weiß, wie lange es dauert, bis es wiederkommt …“

2
    Erik ist anwesend, als der Fremde sich einrichtet.
    Und er ist nicht allein. Das halbe Dorf drängt sich in der Tür und dahinter im Flur. Bis durch die Haustür und in den Vorgarten hinaus stehen die Leute, recken die Köpfe, treten unruhig von einem Fuß auf den anderen (und nicht immer auf den eigenen), und es gibt immer jemanden, der gerade seinen Vordermann fragt: „Hast du etwas gesehen? Oder gehört? Was treibt der Kerl da drin eigentlich?“ Und irgendjemand antwortet immer: „Ich glaube, er rückt den Tisch in die Zimmermitte, genau in die Zimmermitte, und man hat mir gesagt, er hat seinen komischen kleinen Koffer auf die Tischplatte gelegt, genau in die Mitte, und ist gerade

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