Schlangenspuk - Dorothea K. - Schachmatt
…“
„Hör mal!“ Artur musste lachen. „Glaubst du nicht, es wäre Melanie aufgefallen, wenn ihre Zimmergenossin eine Unsichtbare wäre?“
„Ich meine das nicht im physikalischen, sondern im psychologischen Sinn. Dass die sichtbar ist, aber sie niemand wahrnimmt.“
„So etwas gibt es nicht“, erwiderte Artur. Es klang nicht sehr überzeugt.
„Gesetzt den Fall, so etwas würde es geben, dann würde es sie zur Spionin prädestinieren.“ Artur versteifte sich, und Madoka sah ihn eindringlich an. „Je länger ich darüber nachdenke, desto wahrscheinlicher kommt es mir vor. Sie trägt eine Art Tarnkappe, wie auch immer das möglich sein mag. Wir wissen beide, Artur, dass das Okkulte, mit dem sich diese Schule beschäftigt, tatsächlich existiert.“
„Gehen wir sie uns ansehen. Im Notfall fragen wir Melanie. Als ihre Zimmergenossin müsste sie ja mehr über sie wissen.“
Als sie im Erdgeschoss ankamen, öffnete Artur die Tür zum großen Seminarraum, ohne anzuklopfen. Salvatore Cavallito hatte eine Landkarte vom Mittelmeerraum aufgehängt und zeigte gerade auf Kreta. Vielleicht dozierte er über das Labyrinth des Minotaurus.
Die Studenten im Raum blickten die beiden Gestalten in der Tür überrascht an. Artur ging seinerseits die Personen an den Bänken eine nach der anderen durch. Sanjay Munda saß dort in der ersten Reihe, die schöne Inderin, gleich neben ihr Harald, der ungern von ihrer Seite wich, dann Angelika Dahlkamp und Isabel Holzapfel. Die zweite Reihe begann mit … mit …
Artur war es, als sehe er das Mädchen zu ersten Mal. Sie war … sie hatte blonde Haare … aber nicht sehr blond … und ihr Gesicht war … Für einen Moment schwankte sein Blick zur ihrer Nebensitzerin Jaqueline Beck, und als er wieder zu ihr zurückging, war es, als sehe er sie völlig neu.
Er versuchte sich zu konzentrieren, auf die Farbe ihrer Bluse. Blau. Oder Grün. Eine kalte Farbe. Aber nicht sehr kalt. Ihr Augen waren … waren … Er presste die Lider aufeinander, öffnete sie wieder, und die Studentin war wieder völlig neu da. Der Stuhl war keineswegs leer. Da saß jemand, eine junge Frau. Er sah sie, und doch hätte er sie nicht beschreiben können. Seine Augen nahmen sie wahr, sein Verstand dagegen rutschte weg, wie ein glitschiges Ding, wenn er sie im Geist festzuhalten versuchte.
Dorothea Kayser.
Er taumelte förmlich zurück, stolperte in die Halle hinaus, wollte nachdenken, seine Gedanken ordnen.
Aber dazu kam er nicht.
Melanie Kufleitner, die in der letzten Reihe saß, war aufgesprungen. Mit hochrotem Gesicht stampfte sie durch die Bänke auf ihn zu. Sie sah aus wie jemand, der nicht wusste, ob er glücklich oder wütend sein sollte, ob er weinen oder lachen, schweigen oder losbrüllen sollte.
Sie tat das letztere.
„Artur!“, rief sie und warf sich ihm entgegen, schlang ihre Arme um ihn. Ihre Stimme wurde von seinem Hemd gedämpft, in das sie hineinbrüllte, und dennoch war sie laut genug, um bis in den Seminarraum hinein verstanden zu werden. „Wo – wie kommst du – wie kannst du mit diesem – diesem Weibsstück …“
Zuerst hatte er keinen blassen Dunst, wovon sie überhaupt sprach. Offenbar freute sie sich, ihn wiederzusehen (sonst hätte sie sich ihm wohl nicht an den Hals geworfen), aber diese Freude wurde von ihrem Zorn überwältigt. Sie stieß ihn zurück, kaum, dass sie ihn umarmt hatte. Er war verblüfft von den überschwappenden Emotionen.
„Warum bist du nicht zurückgekehrt, als du aus dem Gefängnis freikamst? Artur, ich habe mich für dich eingesetzt, und du hast dich nicht – bei mir gemeldet! Wir standen wie Idioten vor der Haftvollzugsanstalt und mussten erfahren, dass du schon weg warst. Wo hast du dich die ganze Zeit über versteckt? Ich wusste nicht einmal, ob du noch am Leben bist. Ich dachte, ich würde dich nie wiedersehen. Ich … Was hat das zu bedeuten, dass du – dass du … mit dieser Frau zusammen nach Falkengrund zurückkehrst?“
Madoka war ein paar Schritte zurückgewichen und lehnte an einer Wand. Sie beobachtete die Bewegungen der Rothaarigen genau. Für sie kam der Ausbruch nicht ganz so überraschend. Aus ihrer Sicht war es nicht verwunderlich, dass Melanie sich so aufführte. Sie wusste, dass das Mädchen in Artur verliebt war, und sie wusste auch, dass Melanie einen guten Grund hatte, Madoka zu hassen. Einen sehr guten Grund.
Nur Artur hatte davon nichts mitbekommen. Er war nicht auf Falkengrund gewesen, als Madoka Melanie
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