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Schlangenspuk - Dorothea K. - Schachmatt

Schlangenspuk - Dorothea K. - Schachmatt

Titel: Schlangenspuk - Dorothea K. - Schachmatt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Königs unter den Augen trägt, doch er gehorcht der elterlichen Anordnung, besteht allerdings darauf, vor dem Schlafengehen noch seinen weisen Freund, den Sterngucker, besuchen und ihm etwas zu essen bringen zu dürfen.
    Lars freut sich wie ein Schneekönig, und als Erik über diese Redewendung nachdenkt, fragt er sich, ob sie nicht womöglich auf den siegreichen weißen König des Schachspiels abzielt.
    „Diese Leute haben mir keine Zeit gelassen, auch nur einen Bissen zu mir zu nehmen“, meint Lars, als er den letzten neugierigen Bürger hinauskomplimentiert und die Tür geschlossen hat.
    „Das dachte ich mir“, erwidert Erik. „Du hast bestimmt seit dem Schulhaus nichts gegessen.“ Dem Wort „Schulhaus“ wird man es nicht auf den ersten Blick ansehen, aber es ist keine Orts-, sondern eine Zeitangabe. Der Schatten des Teleskops fällt gegen elf Uhr morgens auf das alte Schulhaus in der Nachbarschaft der Sternwarte und nimmt dann seinen Weg über verschiedene andere Gebäude. Die Uhrzeiten mit den Namen der Gebäude zu benennen ist praktischer als sie jedes Mal in Zahlen umrechnen zu müssen.
    „Sie wollen alle wissen, woher die Unfälle kommen“, sagt Lars, und man merkt ihm die Erschöpfung an. „Sie fragen mich, was die Sterne dazu sagen. Und natürlich interessiert es sie, ob der Fremde etwas damit zu tun hat.“
    „Und was hast du ihnen erzählt?“
    „Ehrlich gesagt habe ich mich in letzter Zeit mehr mit dem Beobachten als mit dem Deuten beschäftigt. Ich habe eine neue Linsenkombination ausprobiert und damit ein paar neue Sternkonstellationen entdeckt, die mich ziemlich in Anspruch nehmen. Erinnere mich daran, dir später die Karten zu zeigen, die ich angefertigt habe.“
    „Warum zeigst du mir sie nicht gleich?“
    „Weil ich gerade fettige Finger habe von diesem ausgezeichnet gewürzten Hähnchenschlegel“, antwortet Lars.
    „Ich verstehe. Also, was denkst du über den Fremden? Das Thema kannst du auch mit fettigen Fingern aufgreifen, nehme ich an.“ Erik grinst über seinen eigenen Spaß. Er ist in dem Alter, in dem man anfängt, richtig geistreiche Witze zu machen, nicht nur solche über Leute, die – wusch – auf nassem Laub ausrutschen, – patsch – auf den Boden knallen und sich dabei noch – iiiiik – mit dem Hintern in einen Igel setzen. Es ist eine wunderbare Zeit, was Späße angeht. In ein paar Jahren wird sie vorüber sein, und er wird in der Hauptsache Witze über Blondinen reißen, die glauben, dass Kartoffeln auf Bäumen wachsen.
    „Der Fremde spielt Schach, nicht wahr?“, erkundigt sich Lars.
    Die Frage ist schwer zu beantworten, wenn man sie ernst nimmt. Erik berichtet dem Sterngucker von seiner Begegnung mit dem Reisenden. Lars ist an dem Tag, an dem man dem Fremden ein Zimmer gegeben hat, mit seinen Sternobservationen zu beschäftigt gewesen, um sich in die Menge der Neugierigen zu mischen.
    „Schach ist nicht einfach nur ein Spiel“, meint Lars nach einer kleinen Denkpause (einer Pause, die er zum Denken nutzt – das ist nicht selbstverständlich, denn man könnte auch eine Pause vom Denken als Denkpause bezeichnen. Viele Leute legen immer mal wieder eine Denkpause der letzteren Sorte ein. Wogegen nichts zu sagen wäre, würden sie es nicht just in dem Moment tun, in dem sie zur Wahlurne schreiten). „Schach ist mehr als ein Spiel.“
    „Was ist Schach?“ Erik fragt es mit vollkommener Offenheit, bereit für jede noch so überraschende Belehrung, wie zum Beispiel: Schach ist ein kleines struppiges Tier, das man streicheln kann, wenn man es vorher gefüttert hat.
    Wenn man sich erst einmal auf solche Antworten eingestellt hat, kann einen nichts mehr vom Stuhl hauen, auch nicht, als Lars meint: „Schach kann die Bewegungen von Himmelskörpern abbilden. Es existiert die Theorie, dass in früheren Kulturen ein dem Schach ähnliches Brettspiel als Orakel genutzt wurde. Die Figuren symbolisierten die Himmelskörper und damit auch die Götter. So wie man den Himmel beobachtet, um die Zukunft zu erfahren, kann man auch auf das Schachbrett sehen und dort ähnliche Bewegungen erkennen. Die Konstellation der Sterne ist immer wieder anders und folgt doch bestimmten Regeln. Für die Anordnung der Figuren auf einem Schachbrett gilt dasselbe. Sie ist immer wieder neu und doch nie willkürlich.“
    Erik ist beeindruckt. Als sein Vater ihm damals die Regeln des Schachspiels beigebracht hat, hat er nichts davon gesagt, dass man mit dem Brett in die Zukunft sehen

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