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Schlangenspuk - Dorothea K. - Schachmatt

Schlangenspuk - Dorothea K. - Schachmatt

Titel: Schlangenspuk - Dorothea K. - Schachmatt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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wiederum scheint der Beamte nicht zu begreifen.
    „Willst du als nächstes vielleicht sagen, dass es auch keine Leiter war, auf die der arme Teufel gestiegen ist, hä?“, poltert er. Todesfälle machen ihn durch und durch nervös, vor allem, wenn sie ein ungeklärtes Element beinhalten, und sei dieses noch so winzig.
    „Es war eine Leiter“, sagt der Unfallzeuge.
    „Oh, er wird vorsichtiger“, grinst der Polizist. Dann beugt er sich weit über seinen Schreibtisch, als wolle er gleich „Buh!“ sagen und wispert: „Du hast sie nicht etwa selbst umgestoßen, oder?“
    „Nein.“
    „Hast du dafür Zeugen?“
    „Nur den Mann, der von der Leiter gefallen ist. Und der ist tot.“
    „Aha“, sagt der Beamte. „Aha. Aber es wird dich vielleicht interessieren, dass wir unsererseits sehr wohl beweisen können, dass das Fenster ein Fenster ist und die Leiter eine Leiter.“
    „Ich habe nichts Gegenteiliges behauptet.“
    Nichtsdestotrotz wird noch am selben Abend ein Spezialist herbeordert, der die Sache prüft. Zunächst bescheinigt er mit Unterschrift und Stempel, dass die Leiter tatsächlich eine Leiter ist, eine Gelegenheit für den Polizisten, stumm eine vielsagende Augenbraue zu heben. Als der Fachmann auf die von ihm selbst beglaubigte Leiter steigt und sich anschickt, das Fenstersein des Fensters zu prüfen, wird ihm aus unerklärlichen Gründen plötzlich übel. Sein Gesicht nimmt die Farbe seiner grünen Uniform an, und er erbricht sich auf spektakuläre Weise von der neunten Sprosse der Leiter herab, was die zahlreichen Anwesenden mit lauten Ahs und Ohs kommentieren. Die weitere Untersuchung muss auf einen späteren Termin verschoben werden, gerät jedoch bald in Vergessenheit, denn im Laufe des Abends verunfallen zwei weitere Menschen auf unterschiedliche Weise, einer davon schwer.
    Das Gerücht, ein böser Fluch könne das Dorf befallen haben, macht die Runde.
    Der Polizist überlegt sich, ob er wegen der Angelegenheit den Rat aufsuchen, den Rat ansprechen, den Rat befragen, den Rat konsultieren oder den Rat um Rat bitten soll – aber all das befriedigt ihn nicht, und so entscheidet er sich schließlich, das Problem dem Rate zu unterbreiten ...

5
    Ein Mann namens Lars versieht im Dorf den Beruf des Sternguckers. Es ist ein Beruf mit Höhen und Tiefen. In guten Zeiten wird er mitsamt seines kolossalen Teleskops für vollkommen überflüssig erachtet, während in Krisentagen die Menschen in seinem Vorgarten Schlange stehen, um sich von ihm Erklärungen und Anweisungen zu holen. Lars kennt den Unterschied zwischen den Wörtern Astronomie und Astrologie, aber er sieht keinen Grund, ihn wichtiger zu nehmen als das gemeine Volk, das ohnehin Schwierigkeiten hat, die beiden Dinge auseinander zu halten. Er praktiziert also beides, je nach Konjunktur.
    Vielleicht sollte man der Illustration halber noch erwähnen, dass das eben erwähnte Teleskop durch insgesamt drei Stockwerke reicht und so weit aus dem Dach nach draußen ragt, dass man das Haus als Sonnenuhr benutzen kann. Hinter dem Gebäude ist eine Skala auf den Boden gemalt, die vom Schatten des Teleskops durchlaufen wird. Man nennt sein Haus daher auch das Uhrhaus, was wiederum dem Uhrmacher nicht gefällt, da er befürchtet, dadurch Kunden zu verlieren. Er hat mehrere Prozesse geführt, in denen er behauptet hat, Uhren seien allein seine Domäne und kein anderer dürfe das Wort benutzen, doch er hat sie alle verloren. Aus Trotz über die seiner Meinung nach ungerechten Urteilssprüche nennt er sein eigenes Haus seit Jahren das Sternhaus. Was aber seinem Geschäft eher geschadet hat.
    Erik treibt sich oft im Uhrhaus, also beim Sterngucker, herum. Er staunt nicht schlecht, als er die Menschenansammlung vor der Tür der Sternwarte erblickt. Diesmal gelingt es ihm nicht, sich an den Wartenden vorbei zu schummeln, und so geht er wieder und kehrt erst viel später nach dem Abendessen zu ihm zurück. Er hat seinem Vater versprechen müssen, nicht den Fremden mit dem Schachproblem aufzusuchen. Vater hat in den letzten Nächten kaum ein Auge zugetan – der in die Ecke des Bretts gedrängte schwarze König hat ihn zu sehr beschäftigt. „Es hat einen guten Einfluss auf Kinder, sie Denkaufgaben lösen zu lassen“, hat er beim Abendessen gesagt, „aber einen schlechten, ihnen Probleme vorzusetzen, die falsch gestellt sind.“
    Zwar hat Erik eher den Eindruck, das Problem habe einen schlechten Einfluss auf seinen Vater, der Ringe in der Farbe des bedrängten

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