Schlankheitswahn (Ein Fall für Lizzy Gardner) (German Edition)
neues Leben ein.
Die Förderschule »The Helping Hand« befand sich in einer Seitenstraße. Hier hatte Diane Kramer viele Jahre gearbeitet, bevor sie verschwand. Das Schulgebäude und die benachbarten Grundstücke boten keinen besonders schönen Anblick.
Lizzy ließ ihren Wagen stehen und folgte dem gelben Ziegelsteinweg, wie Dorothy in dem Film
Der Zauberer von Oz
. Ein treffender Name, denn jemand hatte die Löcher in dem rissigen Betonpfad mit gelben Ziegeln geflickt. Um das Grundstück verlief ein Zaun aus bunt zusammengewürfelten Bauteilen – Maschendraht,Metallgitter und Holzlatten. Eine zerbrochene Fensterscheibe hatte man notdürftig mit Isolierband repariert. Außer dem Flickenteppich aus gelben Ziegelsteinen, der den Fußweg bedeckte, fiel nur noch eine andere Farbe ins Auge – ein riesiges Graffiti aus grellem Neon an der Eingangstür, das Werk von Vandalen.
Wie jedes Mal, wenn sie nach South Sacramento kam – was nicht sehr häufig geschah –, hielt Lizzy auch jetzt beide Augen offen.
In der Eingangshalle der Schule saß eine junge Frau an der Rezeption. Sie hatte lange, glänzende schwarze Haare, in die in der Mitte des Kopfs ein etwa acht Zentimeter breiter, ausrasierter Streifen eine Schneise schlug. Das dicke, dunkle Brillengestell passte farblich zu den Haaren, aber dafür waren die Lippen knallrot geschminkt. Das Äußere des Mädchens wies so viele schockierende Merkmale auf, dass Lizzy gar nicht wusste, ob sie hinschauen oder lieber wegsehen sollte. Um nicht unhöflich zu glotzen, wühlte sie in ihrer Handtasche herum, bis sie den Notizblock fand. »Ich bin mit Lori Mulcher verabredet.«
»D-das b-bin ich«, stotterte das Mädchen. Erst zuckten ihre Lippen, dann das linke Auge, aber ansonsten blieb sie reglos sitzen und machte keinerlei Anstalten, Lizzy in ein Besprechungszimmer oder an einen anderen Ort zu bringen, wo sie sich in Ruhe unterhalten konnten.
Lizzy hielt ihr die rechte Hand hin. »Freut mich, Sie kennenzulernen, Lori. Ich bin Lizzy Gardner. Ich würde Ihnen gerne ein paar Fragen zu Diane Kramer stellen.«
Plötzlich bewegte sich die rechte Schulter des Mädchens ruckartig nach oben und Lizzy wäre beinahe erschrocken zurückgesprungen. Lori litt eindeutig unter schweren nervösen Muskelzuckungen. Sie verzog das Gesicht und ihre Augenlider flatterten. Bevor sie aufstand, entwich ihrem Mund ein jaulender Ton. Ihre rechte Hand schoss nach vorne und traf Lizzy an Kinn und Nase.
Eine ältere Dame, die an einem Schreibtisch hinter Lori saß, forderte Lizzy mit einer Handbewegung auf, sich auf einen der drei Plastikstühle am Eingang zu setzen.
Lizzy nahm Platz, holte ein Papiertaschentuch aus ihrem Rucksack und tupfte damit ihre Nase ab. Sie blutete. Verdammt. Lizzy stopfte sich Papier in die Nasenlöcher und legte den Kopf in den Nacken, um die Blutung zu stoppen. Dabei tat sie so, als bewundere sie die Asbestdecke, die mit Sicherheit ein Gesundheitsrisiko darstellte.
Lizzy wusste, dass sie mit Lori Geduld haben musste. In der Highschool hatte sie eine Freundin mit Tourettesyndrom gehabt, die unter einem nervösen Zucken im Gesicht litt und ab und zu mit den Armen ausschlug. Lizzy hatte ihre Freundin stets in Schutz genommen und ihr das Gefühl vermittelt, dass sie in ihrer Gegenwart nichts zu befürchten hatte.
Es dauerte nicht lange, bis Lori sich wieder unter Kontrolle hatte und Lizzy in ein privates Büro führte. Die blutige Nase erwähnte sie mit keinem Wort. Es war auch nicht nötig und die beiden ließen den Vorfall auf sich beruhen.
»Arbeiten Sie mit der Polizei zusammen?«, fragte Lori mit kaum hörbarem Stottern.
Lizzy wartete, bis Lori sich gesetzt hatte, und ließ sich dann auf dem Stuhl vor dem stark zerkratzten Schreibtisch nieder. »Nein«, erwiderte sie. »Dianes Schwester hat mich beauftragt, mich um die Angelegenheit zu kümmern. Sie hat mir gesagt, Sie und Diane wären eng befreundet. Stimmt das?«
Lori zuckte mit den Schultern. »Wir haben uns jeden zweiten Tag gesehen, wenn man das als Freundschaft bezeichnen kann.«
»Haben Sie beide manchmal zusammen zu Abend oder Mittag gegessen?«
»Wollen Sie damit sagen, dass wir lesbisch sind?«
»Nein«, sagte Lizzy, obwohl sie sich angesichts dieser Reaktion fragte, ob da nicht vielleicht etwas dran war. »Andrea, die Schwester von Diane, hat mir erzählt, dass Sie Dianes beste Freundin waren. Nicht mehr und nicht weniger.«
Lizzy konnte deutlich sehen, dass Lori Mulcher nur ungern Fragen über
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