Schlecht aufgelegt (German Edition)
«Ich suche nach Spuren», sagte sie und stand auf.
«Du schnüffelst in meinen Arbeitspapieren?», brüllte er gerade so laut, dass er im oberen Stockwerk nicht gehört werden konnte.
«Ich würde auch deine SMS lesen, wenn du dein Handy jemals aus der Hand legen würdest», erwiderte Susanne ungerührt und ging zur Fensterbank.
«Spinnst du? Was soll denn das?»
«Kannst du dir das nicht denken?», gab sie zurück und blickte hinaus in den Gemeinschaftsgarten ihres Mehrfamilienhauses, den sie so selten nutzte, seit ihr Mann prominent geworden war. Sie hatte das Gefühl, hinter jeder Gardine glotzte jemand nach draußen, sobald sie sich in einen der Gartenstühle setzte. Vermutlich war es auch so.
«Diese Akten sind vertraulich», zischte Henning Bürger. «Und du weißt das.»
«Ich dachte, du hättest darin vielleicht etwas versteckt, das mich interessieren könnte», erwiderte sie, ohne sich umzudrehen. «Ich will nur wissen, mit wem du es gerade noch so treibst. Jetzt, wo die eine Frau tot ist. Das kannst du mir ja wohl kaum verdenken.»
Henning Bürger machte zwei behutsame Schritte auf sie zu. «Ich treibe es mit niemandem. Was ist das überhaupt für ein Wort, ‹treiben›?»
«Du kannst es auch herumhuren nennen, wenn du willst. Oder ficken», antwortete seine Frau scheinbar emotionslos und verfolgte mit den Augen einen Marienkäfer, der seine Gefangenschaft und sein nahendes Ende nicht akzeptieren wollte und mit letzter Kraft gegen die Fensterscheibe flog, immer und immer wieder. Conny, ihre Haushälterin, hatte die Fenster wirklich hervorragend geputzt.
«Da war nur diese eine Frau, das musst du mir glauben», sagte er. «Und sie bedeutet mir gar nichts. Ich meine natürlich, sie hat mir gar nichts bedeutet», korrigierte er sich.
«Umso schlimmer», antwortete Susanne Bürger und drehte sich um. «Was machst du eigentlich hier?», fragte sie. «Hast du keine Termine?»
«Doch», antwortete er und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. «Klaus wartet unten auf mich. Ich wollte nur zwei Minuten mit dir reden. Hätte ich geahnt, wobei ich dich erwische, wäre ich wahrscheinlich im Auto geblieben.»
«Das tut mir leid für dich», sagte Susanne Bürger mit einem Lächeln, das nicht fröhlich war. «Also, was willst du?»
«Wir haben eine Spur. Wegen dieser Sache», erwiderte er und überlegte, ob er sich in seinen Stuhl setzen sollte, der Rücken tat ihm weh. Aber dann würde er zu ihr aufblicken müssen, das war psychologisch betrachtet ungeschickt. Also blieb er stehen.
«Du hast dir doch nicht etwa die Finger schmutzig gemacht», sagte sie und drehte sich wieder zum Fenster.
Henning Bürger schnaubte. «Natürlich nicht, Susanne. Klaus hat mit Manfred gesprochen. Dessen Bruder kennt da so einen Typen aus dem Boxclub, und der hat zwei seiner Jungs losgeschickt.»
Susanne schüttelte den Kopf. «Das ist ja so dermaßen leicht zurückzuverfolgen. Dass du ein genauso miserabler Vater wie Ehemann bist, das wusste ich ja …»
«Susanne …», unterbrach sie Henning Bürger wutentbrannt, wurde aber mit einer einzigen, herrischen Geste zum Schweigen gebracht.
«… das wusste ich ja», wiederholte sie mit ruhiger Stimme. «Aber dass du auch noch ein so miserabler Taktiker bist, das ist mir neu. Ich sehe schon die Schlagzeile: ‹Friedensikone Berlins übt blutige Selbstjustiz – Henning Bürger am Ende›.»
Henning Bürger setzte sich jetzt doch an seinen Schreibtisch und betrachtete das Chaos auf dem Fußboden. «Was aus mir würde, wäre dir doch völlig egal», sagte er leise. «Aber dass ich die Wahl vielleicht nicht gewinne, das lässt dein Ego nicht zu. Für dich ist doch die Hauptsache, dass du an die Macht kommst und deine Prada-Schuhe in der Yellow Press zeigen kannst.»
Susanne Bürger drehte sich pfeilschnell um und hob den Zeigefinger in Hennings Richtung. «Pass auf, was du sagst», zischte sie drohend.
Ihr Mann sprang auf, sein Kopf war plötzlich hochrot. «Nein, du passt jetzt mal auf», brüllte er, und nun war es ihm auch egal, ob seine Kinder oder Hilla im oberen Stockwerk seinen Ausbruch mitbekamen. «Wenn du hier nicht so ein Regiment der Kälte führen würdest, hätte ich mich doch gar nicht auf diesen ganzen Scheiß eingelassen. Dir ist es doch von Anfang an nur darum gegangen, einen Status zu erlangen. Du mit deinem Charity-Kram und deinem Sozial-Getue! In Wirklichkeit hast du überhaupt keine Haltung! Dir ist es noch nie um die Sache gegangen! Nur ums Image!
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