Schlechte Gesellschaft
Eingangshalle waren Möbel gestapelt. Das Haus musste lange Zeit leergestanden haben, aber die meisten Zimmer waren nur halbherzig geräumt. Einzelne Stühle, ein Sofa und offene Kleiderkisten standen herum. Ein Arbeitszimmer war noch vollständig möbliert. An den Wänden hingen Jagdszenen in Ãl und Gravuren von Industrieanlagen aus der Gründerzeit. In der Küche gab es flieÃend Wasser. Ein Mann aus dem Dorf hatte sich vor ihrer Ankunft darum gekümmert, dass auch Gas und Strom angestellt waren.
Hella drückte auf den Kippschalter neben der Küchentür. Im Licht der nackten Glühbirne reichte ihr Schatten bis hinüber zum Fenster. Sie hatten in Grävenwiesbach eingekauft â Wein, Fleisch, Kartoffeln, Tomaten und Obst. Schon bald hörte Gellmann Hella in der Küche hantieren, ihre Absätze auf den Steinfliesen, das routinierte Ãffnen und SchlieÃen von Schränken, das Klirren beim Auspacken von Schüsseln und Tellern. Vahlen und Gellmann setzten sich mit einer Flasche ins Arbeitszimmer, wo sie im Kamin Feuer machten.
»Sag mal, meint ihr das ernst, hier herziehen zu wollen?«, fragte Gellmann.
»Dir würde das auch gut tun, ein bisschen Nähe zu Mutter Natur. Das festigt den Charakter und glättet die Metaphern«, witzelte Vahlen.
»Ich halte nichts von Metaphern«, sagte Gellmann.
»Aber vielleicht würde dir eine Spur Sinnlichkeit gut tun? Auf Sinnlichkeit stehst du doch, oder?« Vahlens Provokation reizte Gellmann.
»Sinnlichkeit ja. Idylle nein. Willst du hier zum Naturdichter werden? Und das alles für Radieschen und Schnittlauch aus dem eigenen Garten?«
»Warum nicht?«, fragte Vahlen. »Willst du etwa weiterhin eine Revolution machen, von deren Existenz nur ein knappes Prozent der Bevölkerung je etwas erfahren wird? Und das alles, um einpaar Arschlöcher zu ärgern, die ohnehin nichts anderes von dir erwarten?«
»Stattdessen soll ich die Rosen und Nelken von Sehlscheid besingen?«, fragte Gellmann.
»Alles ist möglich.« Vahlen schien nachzudenken. »Auch Naturdichtung hat ihre Berechtigung. Man kann heute nicht die Augen verschlieÃen vor der Zerstörung durch den Fortschrittsglauben. Du selbst redest in deinen Stücken von nichts anderem. Gerade das macht sie so gut. Aber wo ist dieser Zerfall am deutlichsten zu sehen? An uns selbst und an unserem Verhältnis zur Natur.«
»Du findest meine Stücke gut?«
»Einige sind besser als alles, was in den letzten Jahren zum Thema geschrieben wurde«, sagte Vahlen.
»Du schmeichelst mir«, sagte Gellmann zufrieden.
»Ich schmeichele nicht. Ich konstatiere.«
Gellmann lachte und nahm einen Schluck. »Du hast recht, was die Natur angeht. Es gefällt mir hier. Vielleicht sollte ich ihr eine Chance geben.«
Vahlen nickte. Sie schwiegen.
»Wer waren die von Nesselhahns?«, fragte Gellmann nach einer Weile.
»Waschmittelproduzenten. Chemie für die Hausfrau. Später vor allem Salpeter, Ersatzstoffforschung und Munition.«
»Aha. Also doch Krupp und Siemens. Haben sie Dreck am Stecken?«
»Nicht Hellas Vater. Der ist rechtzeitig ausgestiegen. Zumindest aus dem Chemie-Geschäft. Er war Verleger. Ein Guter. Bis die Nazis kamen. Dann hat er die Memoiren von lokalen Partei-Bonzen veröffentlicht und Nazi-Theoretiker ins Programm genommen.«
»Und wie gingâs weiter?«
»Sagt dir der Name Aurum was?«
»Der Verlag von Pellerts und Brabender.«
»Genau. In den fünfziger Jahren hat Nesselhahn den Verlag an Herlett verkauft. Hellas Mutter hat sich allerdings schon frühervon ihm getrennt, mitten im Krieg. Er hat sie monatelang mit den Kindern auf dem Dachboden eingesperrt, keiner weià so richtig, warum. Als er sie rausgelassen hat, ist sie gegangen. Er wollte sie zurückholen. Aber sie hat es vorgezogen, die Kinder allein aufzuziehen.«
»Daher Hellas starker Charakter.«
»Vielleicht.« Vahlen zögerte, als wolle er noch etwas sagen.
»Aber die Millionen hat ihr der Vater vererbt?«
»Nennst du diese Bruchbude, für die wir uns bis ans Ende unserer Tage in Schulden stürzen müssen, Millionen? Die Millionen haben andere ausgegeben. Nesselhahn ist schon lange tot. Dass hier bereits der eine oder andere Erbe durchgegangen ist, sieht man ja. Hella hat das Haus von ihrer Mutter. Die ist erst kürzlich gestorben.« Vahlen senkte die
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