Schlechte Gesellschaft
Selbstverständlich nicht gleich, denn sie war ja noch zu jung. Aber sobald sich eine Gelegenheit bot, wollte er mit dem Bauern Gehrke über ihre Zukunft sprechen. Wenn der Krieg vorbei war, würde er bei Fockenbach aufsteigen. Bis zum Aufseher wie sein Bruder Hermann würde er es schon bringen, dachte er. Auf der Hüh wollte er ein neues Haus bauen für sich und Lisbeth, für Martha und die Mutter. Zumal eine Gehrke-Tochter ja auch nicht ganz mittellos in die Ehe gehen würde. So wäre es nur eine Frage der Zeit, bis Lisbeth und er einen eigenen Hausstand und Kinder haben würden, ein zufriedenes Leben weitab der Gräben, der Schreie und der Giftgasgranaten. Jeden Morgen würde er an der Seite dieser warmen, vollen Brüste erwachen, und Lisbeths Lächeln wäre immer für ihn da.
Doch bevor Rudolf mit Lisbeths Vater sprechen konnte, kam sie eines Morgens Anfang Dezember nicht mehr zur Arbeit. Vorsichtig holte er bei Martha, die als einzige von den heimlichen Treffen der beiden wissen musste, Erkundigungen ein, und es zeigte sich, dass Lisbeth schwer erkrankt war.
Von einem Tag auf den anderen hatte das Mädchen keine Nahrung mehr bei sich behalten. Schon bald lag sie geschwächt und abgemagertim Bett. Ihre Mutter versuchte mit Wickeln und Kompressen das Leiden zu lindern. Denn alle Säfte und Tabletten, Suppen, Tees oder Inhalationen führten nur dazu, dass das Mädchen sich wieder über dem Eimer erbrach. Auch der alte Doktor Busch, der als einziger Arzt der Gegend nicht an die Front berufen worden war, fand keine Erklärung für Lisbeths seltsame Krankheit. Nach zwei aufeinanderfolgenden Besuchen stellte der halb erblindete Mann lediglich fest, die Symptome sprächen nicht für eine Darmgrippe.
SchlieÃlich war es die Witwe Kläre, die ihrer Schwiegertochter Emmy gegenüber den Verdacht äuÃerte, es könne sich bei Lisbeth um einen Zustand handeln, der gar keinen krankhaften Ursprung habe. Denn obwohl das Mädchen von Tag zu Tag schwächer, dünner und ausdrucksloser wurde, ragten ihre Brüste doch prall und wie in vorwitziger Selbstbehauptung auf.
Mit der Feststellung ihrer frühen Schwangerschaft ging Lisbeths Leiden aber keinesfalls einer Besserung entgegen. An eine Prozedur, die den unglücklichen Umstand hätte beenden können, noch bevor er im Dorf bekannt geworden wäre, war bei der Schwäche des Mädchens nicht zu denken. Die Hebamme, die ihre Mutter ins Vertrauen gezogen hatte, und selbst die eilig herbeigeholte Engelmacherin aus Kurtscheid, rieten, das arme Kind erst einmal zu Kräften zu bringen. Vielleicht würde das, was da in Lisbeth wachse, ganz von alleine erkennen, wie ungünstig der Augenblick war.
Mit gröÃter Mühe gelang es schlieÃlich, Lisbeth tropfenweise stärkende Flüssigkeiten einzuflöÃen: Hühnerbrühe und Honig, Haselnussbrei und Hollensaft. Nach Wochen begannen die Augen des Mädchens wieder zu leuchten, Lisbeths Wangen bekamen Farbe, und das Haar glänzte wie vorher. Aber auch ihr Bauch zeigte nun die erste, untrügliche Rundung.
Gleich nachdem sie gemerkt hatte, dass die kleine Gehrke schwanger war, hatte die Witwe Kläre ihren Rudolf zu sich gerufen. Nichts wies darauf hin, dass ausgerechnet ihr Sohn für Lisbeths Zustand verantwortlich sein könnte. Aber seit sie vor vielen Jahrenden Fehler begangen hatte, sich ausgerechnet in den hitzköpfigen Adam Vahlen von der Hüh zu verlieben, meinte Kläre sich in ihren Ahnungen und Urteilen nie wieder geirrt zu haben. Niemanden in Sehlscheid hielt sie für fähig, die Unschuld eines vierzehnjährigen Mädchens auszunutzen. Niemanden auÃer Rudolf, der, ganz wie sein Vater, im Grunde selbst noch ein Kind war.
Der Krieg hatte ihren Sohn verändert, da machte Kläre sich nichts vor. Und doch glaubte sie, dass es auÃerhalb des Dorfes keinen anderen Ort für ihn gab auf der Welt. Keinen anderen Ort als Flandern. Sie sah die verheulten Augen der Kriegswitwen, sah die dumpfe Verzweiflung der heimgekehrten Invaliden. Nichts fürchtete die Mutter mehr für ihren Sohn als den Krieg. Nichts auÃer dem Zorn seines inzwischen geradezu engstirnig rechtschaffenen Bruders Hermann.
Eine ganze Nacht wendete Kläre diese Gedanken hin und her, ohne dass sie ihr deshalb weniger wahr oder weniger falsch erschienen. Und am Morgen fällte sie die Entscheidung, von der sie sofort wusste, dass sie
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