Schlechte Gesellschaft
sie bereuen würde.
»Wenn dein Bruder von Lisbeth erfährt, wird er dich umbringen«, sagte sie, als Rudolf vor ihr stand. »Du musst so schnell wie möglich hier weg.«
Noch am selben Abend kam Rudolf nach der Arbeit nicht nach Hause. Und gleich am nächsten Tag meldete er sich im Arlicher Rekruten-Amt zurück an die Front.
Eine Bitte (April 2007)
»Andreas! Wo steckst du?« Carolines Stimme klang fröhlich.
Wieland zögerte. Eigentlich hatte er vorgehabt, seinen Professor um Rat zu fragen. Aber jetzt wurde er von einem unwiderstehlichen Drang gepackt, sich auch seiner Konkurrentin am Lehrstuhl anzuvertrauen.
»Ich bin im Westerwald, bei den Erben Peter Vahlens. Es gibt ein Problem.«
»Bist du krank? Hattest du einen Autounfall? Kann ich dir helfen?«
Caroline Schweizer war das talentierteste von »Kittels Mädchen«. Zumindest hatte sie Wieland immer am meisten beeindruckt. Groà und kräftig, mit einem offenen, freundlichen Gesicht, wirkte sie entwaffnend, wenn andere aggressiv auftraten. Eine respektvolle Reserviertheit hatte bisher seinen Umgang mit ihr bestimmt, der über die gemeinsame Kaffeepause nie hinausgegangen war. Vielleicht wollte Caroline nur herausfinden, wie weit er mit seiner Arbeit war, dachte Wieland.
»Das ist lieb, Caroline. Nein, es ist alles in Ordnung mit mir. Ich komme schon klar. Wenn ich zurück bin, erzähle ich dir alles. Jetzt würde ich gerne mit Kittel sprechen.«
»Okay, halt durch«, sie lachte hell, und Wieland bereute fast, ihr nicht doch mehr gesagt zu haben. »Ich verbinde.« Es knackte in der Leitung. Dann hörte er den Professor jemanden verabschieden.
»Wieland! Haben Sie etwas erreicht?«, kam Kittels Stimme aus dem Hörer.
»Ja, ich habe alles beisammen, zumindest alles, was ich für das Gellmann-Projekt brauche. Ich rufe wegen einer anderen Sache an.«
»Hatten Sie einen Autounfall? Eine Panne?«
»Nein. Warum denken alle, ich hätte einen Unfall gehabt?«
Am anderen Ende der Leitung vernahm Wieland das Knistern von Bonbonpapier.
»Ich habe ein unveröffentlichtes Manuskript in Vahlens Nachlass gefunden.«
Stille.
»Ich glaube, es handelt sich um so etwas wie einen Entwurf. Mehrere, zum Teil unzusammenhängende Textstücke. Ein Fragment, Notizen.«
»Soso? Phantastisch. Verstehe.« Kittel klang irritiert, beinahe verärgert.
»Die Frage ist, wie man das am besten macht. Es scheint sich um eine Fortführung von Villa â¦, äh, von Westerwald zu handeln. Judith Gellmann-Vahlen will, dass ich es veröffentliche. Herausgebe, meine ich. Mit dem ganzen Drum und Dran.«
»Hat sie schon mit Vahlens Verlag gesprochen?«
»Nein. Nur mit mir.«
»Und die Witwe?«
»Ich weià nicht, die ist verreist. Es könnte kompliziert werden. Deshalb will ich ja wissen, wie ich mich verhalten soll.«
Ein lautes Hintergrundgeräusch, wie von einem fallenden Gegenstand.
»Das kann ich so nicht beurteilen.«
»Ich meine, gibt es die Möglichkeit so ein Manuskript, ich meine, so ein Fragment zu bearbeiten? Es geht um die Namen. Es scheint sich um einen Schlüsselroman zu handeln. Die Namen sind so gut wie unverschlüsselt. Womöglich ist es einfach noch sehr unfertig. Judith möchte, dass ich es bearbeite, bevor wir es jemandem zeigen.«
»Hören Sie mal, so etwas kann man nicht am Telefon besprechen. Bringen Sie mir das Manuskript vorbei, dann sehen wir weiter â¦Â« Die Stimme des Professors wurde leiser, als hätte er sich vom Hörer abgewendet. »Entschuldigen Sie, Wieland, der Dekan ist hereingekommen. Ich muss Schluss machen. Melden Sie sich, wenn Sie da sind.« Kittel hängte auf.
Wieland hatte sich ins Gasthaus Brink zurückgezogen. Die Wirtin freute sich. Da habe er aber Glück, dass sein Zimmer noch frei sei, hatte sie gesagt. Den DVD-Spieler habe sie auch noch nicht wieder herausgenommen. Er habe ja seine Villa Westerwald -DVD mitsamt der Hülle vergessen. Da habe sie sich schon gedacht, dass er zurückkommen würde.
Judith hatte er versprochen, bald wiederzukommen, er brauche etwas Zeit zum Nachdenken. Nach der ersten Aufregung über die Entdeckung wusste er nicht, was er von ihrem Vorhaben halten sollte. Er fühlte sich von seinem Doktorvater im Stich gelassen. KittelsReaktion schien ihm seltsam unangemessen. Das Manuskript schien ihn kaum zu interessieren, er tat,
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