Schlechte Gesellschaft
über Geschäfte zu sprechen. Sie hatte auch nie gefragt, wie er an ihr Haus herangekommen war. Und er hatte es keinesfalls als ehrenhaft empfunden, dass er das Aurum-Programm, das einmal sein ganzer Stolz gewesen war, ohne zu zögern völlig umgestellt hatte.
Hermanns Bekannter brüstete sich vor allen befreundeten Nazigenossen mit seinem neuen Verlag. Die Kriegserinnerungen und Ansichten mehrerer regionaler GröÃen wurden gedruckt, bis hin zu â die Ehre war groà â den Gedichten des Herrn Gauleiters. Das gutgehende Romantikprogramm durfte Nesselhahn fortführen, auf Anraten der Koblenzer Parteileitung erweiterte er es um Leitsprüche und Balladen, Heimaterzählungen und Heldensagen, die reiÃenden Absatz fanden. Aus den feinen Schmuckbänden wurden bald billige Pappausgaben und schlieÃlich, nach Beginn des Krieges, echte Landserromane, die Nesselhahn in hohen Auflagen verkaufte.
Die Kommentare der neuen Verlagsautoren zu den experimentellen Editionen der ersten Jahre blieben nicht aus. Eine gehobene Augenbraue des Obersturmbannführers, ein Naserümpfen des Majorsgenügte. Nesselhahn nahm alles Neue, alles Moderne, alles, was nun als undeutsche Literatur verstanden wurde, schon bald und mit einer ihn im Nachhinein selbst überraschenden Gründlichkeit aus dem Programm.
Während er zu Martha sprach, hatte Nesselhahn das Gefühl, alles würde plötzlich einen Sinn ergeben. Was ihm vorher wie eine lange Reihe von mühseligen Kompromissen und erduldeten Zwängen erschienen war, wurde jetzt, da er es in Worte fasste, zu einer schlüssigen Abfolge â die Geschichte der schmerzlichen Kapitulation seiner Ideale vor der Wirklichkeit.
Wieder horchte Nesselhahn. Jetzt hätte er von Martha gerne gehört, dass er sie und die Kinder schlieÃlich hatte schützen müssen und dass erst sein Erfolg mit dem Verlag ihnen das schöne Leben ermöglicht hatte, das sie im Aulbachtal führten. Denn im Grunde war er überzeugt, die richtigen Entscheidungen getroffen zu haben. Aber auf dem Dachboden blieb es still. Er vernahm nur von Ferne das Rauschen der Pappeln am Wiesenbach.
Es war sicher ein Fehler gewesen, Martha die Villa ihrer GroÃmutter im Westerwald zu kaufen, das räumte Nesselhahn ein. Er hatte geglaubt, sie werde in der Nähe ihres Heimatortes zur Ruhe kommen. Sie könnte ihre wilden Freundinnen vergessen, sich auf die Erziehung der Kinder konzentrieren. Martha hatte das Haus im Aulbachtal sofort geliebt. Und obwohl Nesselhahn wusste, wie froh sie an ihrem Hochzeitstag darüber gewesen war, Sehlscheid endlich verlassen zu können, hatte er es zugelassen, dass der Morast des nahegelegenen Dorfes nach und nach verschlang, was noch von ihrer Liebe übrig war.
Sehlscheid ähnelte schon damals kaum mehr der hübschen Ortschaft, in der Nesselhahn seine Frau kennengelernt hatte. Wo noch vor wenigen Jahren die Kinder mit krummen Beinchen auf den Ochsen durch das Dorf geritten kamen, wo die Sommergäste sich erholten und der geschmückte Gesellschaftswagen des Verschönerungsvereins die Damen spazieren fuhr, marschierten nun Hitlerjugend, SA, Reichsnährstand und NS-Frauenschaft. Das romantischeFlussufer im Völkerwiesenbachtal hatte man zu einem Freibad ausbauen lassen, das sämtliche Jugendorganisationen und Wandervereine der Umgebung anzog. Der Morbelswein wurde mit dem Etikett des Gauleiters verkauft, und der unwiderstehliche Geruch von frischen Butterzöpfen strömte nicht mehr aus Gehrkes Backstube, sondern aus einem Fabrikschornstein. Sogar die Gesichtszüge der Bauern, die Nesselhahn immer an alte Pferderassen erinnert hatten, schienen feiner geworden zu sein und strahlten, wie er fand, zuweilen eine aggressive Modernität aus.
Seit sie im Aulbachtal lebten, war Martha kein einziges Mal in ihrem Heimatort gewesen. Sie verlieà das Haus ausschlieÃlich in die andere Richtung, durchfuhr mit ihrem Wagen eilig die Kurven nach Oberbieber und weiter nach Niederbieber, bis sie am Arlicher Walzwerk vorbei auf die RheinstraÃe nach Koblenz gelangte. Ihren Bruder Hermann und dessen Frau Emmy besuchte sie nie. Und auch ihre Mutter lud sie nicht zu sich ein. Allein Hagis war gekommen, solange er noch in Karlsruhe studierte, unangekündigt und ausschlieÃlich, wenn Nesselhahn sich im Verlag oder auf Reisen befand. Das Hausmädchen hatte es ihm hinterher gesagt, und auch Martha erzählte von den
Weitere Kostenlose Bücher