Schlechte Gesellschaft
gemeinsamen Nachmittagen, obwohl sie wusste, dass ihr Mann sich darüber ärgerte.
Nesselhahn war klar, wie nah Martha und Hagis sich standen, und er hatte sich seiner Eifersucht auf den hübschen, überraschend belesenen jungen Mann nie erwehren können. Seit seiner Hochzeit, bei der Marthas Neffe ihm deutlich zu verstehen gegeben hatte, was er von ihm hielt, hatte Nesselhahn gehofft, der Junge würde bald von zu Hause fortgehen, irgendwohin, wo er vernünftiger werden und seine unzweifelhaft vorhandenen Talente einsetzen konnte. Auf Marthas Bitte hin hatte er ihm die höheren Schulen in Arlich und das Architekturstudium in Karlsruhe finanziert. Und so hatte er bei der Ankündigung von Hagisâ Hochzeit mit einem Mädchen aus dem Dorf Marthas tiefe Enttäuschung durchaus nachempfinden können, dass ihr Neffe sein Leben nun doch in Sehlscheid verbringen wollte.
Im Jahr der Geburt des kleinen Karl, ihres zweiten Kindes, hatte Hagis während einer seiner Heimfahrten aus Karlsruhe die hübsche Ilse Kleinmann geschwängert. Martha weigerte sich, die Hochzeitsfeier zu besuchen. Sie lieà ausrichten, sie könne nicht kommen, weil sie jederzeit das Kind erwarte. Ihrem Mann gegenüber behauptete sie, den Onkel der Braut, den jungen Kehl, einen bekannten Sehlscheider Nazi, nicht ausstehen zu können. Eine Geschichte von früher, sagte sie. Aber Nesselhahn war sicher, dass nun auch sie wegen ihres geliebten Hagis mit Eifersucht kämpfte.
Vom Hausmädchen hatte Nesselhahn erfahren, was man im Dorf über Hagis redete. Es hieÃ, er wäre ein Hitzkopf und Störenfried. Auf seine Schläue bilde er sich schon lange etwas ein. Kaum einer in Sehlscheid sei vor seinen üblen Scherzen sicher. Nur der Parteivorsitz seines Onkels Hermann habe den Jungen bisher vor Schlimmerem bewahrt. Aber erst als das Hausmädchen Hagis ein Findelkind nannte, das die Witwe Kläre während der Nachkriegswirren lediglich als ihren Enkel ausgegeben hatte, verstand Nesselhahn, worum es bei den Gerüchten ging. Ãberall wurden in dieser Zeit Machenschaften gegen das Volk und den Führer vermutet, Verschwörungen, Hetze und jüdisches Blut. Einen Moment lang hatte Nesselhahn selbst mit dem Gedanken gespielt, einen Brief zu schreiben, der dafür sorgen würde, dass Hagisâ wahre Herkunft geklärt würde. Noch immer meinte er, seine Frau müsste ihm dankbar sein, dass er ihrem vorgeblichen Neffen stattdessen die Fortsetzung seines Studiums in England bezahlte. Denn obwohl der Junge da bereits Vater von zwei kleinen Söhnen war, schienen sowohl Hagis als auch Martha erleichtert gewesen zu sein, als er die Heimat verlassen konnte.
Kehl war daraufhin mehrfach unter Vorwänden in ihr Haus gekommen. Wie um zu überprüfen, ob Hagis sich nicht doch bei Martha aufhielt. Oft erfragte er in Ilses Namen Neuigkeiten. Martha versuchte jedes Mal, ihn schnell loszuwerden, das hatte Nesselhahn wohl bemerkt. Einmal hatte er sie hinterher sogar zurechtweisenmüssen, höflicher mit Kehl umzugehen, der immerhin Hermanns Amtshelfer war.
Nesselhahn lauschte, sein Ohr am Holz des Verschlages. Nichts. Und dann hörte er hinter der Tür plötzlich doch ein Räuspern, sehr deutlich, sehr nah. Er erschrak und spürte sein Herz klopfen. Martha war die ganze Zeit gleich hinter der Tür gewesen. Sie hatte alles gehört.
»Lass mich gehen, Richard.« Ihr erster Satz klang wie ein Würgen.
»Wenigstens das Karlchen soll den Dachboden nicht in Erinnerung behalten.« Marthas Stimme wirkte erschöpft, und doch war sie Nesselhahn vertraut.
Sie habe sich lange bemüht. Aber sie glaube, den Kindern nun keinen Moment länger etwas vorspielen zu können.
Ihre Rede brach ab, merkwürdig unbetont. Nesselhahn dachte, Martha würde noch etwas hinzufügen. Aber nachdem sie ihre langsamen, wie schmerzlich hervorgestoÃenen Sätze vorgebracht hatte, schwieg sie wieder.
»Glaubst du, ich lasse dich einfach gehen?«, rief Nesselhahn. »Was soll aus unseren Kindern werden? Was wird aus mir?«
Sie schwieg.
»Versprich mir, zu bleiben, dann mache ich auf.«
Nichts.
»Martha!« Nesselhahn schlug mit der Faust gegen die Tür. »Rede mit mir!«
Es dauerte einen Moment, bis sie wieder zu sprechen begann.
»Es ist wahr, Richard. Ich habe einen Fehler gemacht. Du hast jedes Recht, wütend zu sein.«
»Was soll das heiÃen? Hast
Weitere Kostenlose Bücher