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Schlehenherz

Schlehenherz

Titel: Schlehenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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– und ich wollte nicht reden. Wozu? Damit sie noch mal einen Psychologen auf mich ansetzte? Also schwieg ich dickköpfig und starrte auf die Platte meines Schreibtisches. Meine Mutter sog scharf die Luft ein: Ihre Geduld war erschöpft.
    »Bitte, dann nicht«, sagte sie eisig und rauschte raus. Ihr ganzer steifer Rücken drückte Gekränktheit über ihre sture Tochter aus.
    Ich widmete mich wieder meinen Hausaufgaben. Zumindest tat ich so, denn in Wirklichkeit wartete ich auf die nächste Mail von »Blauer Reiter«. Mein Matheheft lag aufgeschlagen vor mir, doch zum ersten Mal erschien mir eine mathematische Gleichung wie eine wahllos zusammengewürfelte Anhäufung von Zahlen, die wild und ohne Bedeutung vor meinen Augen tanzten.
    Ein Glockenton des Computers meldete den Eingang einer Mail. Ich spürte, wie mein Herz schneller schlug. In gespannter Erwartung klickte ich auf »Öffnen«.

    Von: [email protected]
    An: [email protected]
    Betreff: good 2 know

    Deine Klasse schreibt morgen ’ne Arbeit in Englisch. Hab meine Quellen – der Tipp ist todsicher, auch wenn ich heute nicht in der Schule war

    Greez, Grover

    Das Gefühl der Enttäuschung, dass die Mail nicht von »Blauer Reiter«, sondern von Grover war, schlug wie eine Welle über mir zusammen. Ich hatte nicht mal mehr den Nerv, ihm eine Abfuhr zu verpassen, wie ich mir gestern noch vorgenommen hatte. Und die anstehende Englisch-Ex war mir ebenso egal wie die Frage, wieso Grover mal wieder davon wusste.
    Frustriert schlich ich aus meinem Zimmer, um mir was zu trinken zu holen. Zum Glück war meine Mutter mit Julius beim Kinderarzt, wie sie mir auf einem Zettel mitteilte. Wenigstens kam sie mir auf diese Weise nicht wieder mit ihren Gesprächen zur »Lösung unserer Konflikte«. Den Teller Nudelauflauf, den sie mir warm gestellt hatte, nahm ich mit in mein Zimmer.
    Ich hockte mich vor meinen Bildschirm und wartete ungeduldig auf eine Mail von »Blauer Reiter«. Eigenartiger Nickname, aber »Schlehenherz« war ja auch nicht gerade üblich.
    Bestimmt hatte er sich nach der Künstlervereinigung »Der Blaue Reiter« benannt. Stand er auf Kunst oder malte er vielleicht sogar selbst? So wie Vio. Dieser Gedanke gab mir einen Stich. Ich kriegte Sehnsucht nach unseren früheren Gesprächen auf dem Hochsitz. Plötzlich hatte ich Lust, »Blauer Reiter« zu fragen, ob er die Bilder von Franz Marc und Kandinsky kannte. Aber konnte ich ihm einfach mailen? Schließlich war er dran und vielleicht nervte es ihn, wenn ich ihm nach meiner letzten Mail gleich noch mal schrieb? Aber warum meldete er sich nicht – ob die Verbindung zusammengebrochen war? Ich überprüfte den Netzwerkstatus. Dort war alles okay. Trotzdem meldete mein schülerVZ-Account keinen Eingang. Er war auf Tauchstation gegangen.
    Trübsinnig starte ich auf den Teller Nudelauflauf, der langsam kalt wurde. Aber ich hatte sowieso keinen Appetit. Warum hatte »Blauer Reiter« auf meine Mail gestern nicht geantwortet? Ob er noch in der Schule festsaß? Oder wartete er auf eine weitere Nachricht von mir? Sollte ich einfach schnell und unverbindlich so was wie »puh, was für ein Wetter und Schule wird auch immer dröger« tippen? Das kam mir so banal vor nach dem, was wir uns bereits geschrieben hatten.
    Flüchtig kam mir der Gedanke, dass ich nicht mal seinen richtigen Namen wusste. Aber irgendwie spielte das auch keine Rolle. Uns verbanden keine gemeinsamen Hobbys oder das Interesse für Musik, sondern der Tod, der mir Vio und ihm den besten Freund weggenommen hatte.
    Doch jetzt war Funkstille. Ich beschloss zu glauben, dass er heute einfach spät Schulschluss hätte, und loggte mich aus. Schließlich hatte ich Besseres zu tun, als wie ein hypnotisiertes Kaninchen vor dem PC zu hocken und auf eine Mail zu warten, deren Absender sowieso meistens merkwürdige Gedichte schrieb. Überhaupt: Diese Else Lasker-Schüler musste auch ordentlich einen an der Waffel gehabt haben. Sonst würde sie nicht dauernd in ihren Gedichten von Toten und Engeln und Ratten faseln. Mit einem energischen Mausklick schloss ich die schülerVZ-Seite.

    Meine Mutter kam genau in dem Augenblick mit Julius herein, als ich den Nudelauflauf im Mülleimer versenkte.
    »Lila hat Essen da rein’macht«, petzte der Kleine prompt und deutete mit seinem pummeligen Finger triumphierend auf den Eimer, dessen Deckel ich hastig zufallen hatte lassen. Vergeblich. Meine Mutter drückte wortlos auf den Fußhebel, warf nur einen

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