warme Schokolade süß die Kehle hinunter bis in den Bauch fließt …
Eilig setzte ich mich an meinen Rechner und tippte das Gedicht von Theodor Storm ab.
Von:
[email protected] An:
[email protected] Betreff:
O bleibe treu den Toten,
Die lebend du betrübt;
O bleibe treu den Toten,
Die lebend dich geliebt!
Sie nahen dir in Liebe,
Allein du fühlst es nicht;
Sie schaun dich an so trübe,
Du aber siehst es nicht.
In ihrem Schattenleben
Quält eins sie gar zu sehr:
Ihr Herz will dir vergeben,
Ihr Mund vermag’s nicht mehr.
Monika Held starrte noch eine Weile auf ihr Telefon. Wieder verlief eine Spur im Sand. Dabei hatte sie so gehofft, Elina May würde ihr einen Tipp geben können. Aber entweder log sie oder Viktoria hatte tatsächlich sämtliche Onlineaktivitäten geheim gehalten. Genau wie das vergewaltigte Mädchen, dessen Computer Monika noch am Tag der Vernehmung zu ihren Kollegen in die Computerforensik gegeben hatte.
Die Techniker fanden heraus, dass das Mädchen bei schülerVZ mit einigen Forumteilnehmern gechattet hatte. Einer davon war partout nicht zu ermitteln, was Monikas Kollegen verdächtig vorkam. Lediglich die IP-Adresse eines Proxyservers hatten sie herausbekommen. Der war jedoch offenbar irgendwo im Ausland positioniert. Die Chancen, die IP-Adresse des anonymen Chat-Teilnehmers zu finden, gingen somit gegen null, wie einer der Computerforensiker Monika erklärte.
»Du musst dir das mit dem Proxyserver so vorstellen, als würdest du für ein paar Freunde Essen vom Chinesennach Hause bestellen«, hatte einer der Techniker Monika erklärt.
»Der Lieferant bringt die Boxen mit dem Essen, du gibst ihm das Geld und er geht. Weder sieht der Lieferant deine Gäste, für die das Essen bestimmt ist, noch siehst du den Koch, der die Gerichte zubereitet hat. Alles läuft über den Lieferanten.«
Monika verstand: »Genauso verhält es sich also mit diesen Proxyservern. Die sind quasi der Lieferant, der zwischen Absender und Website vermittelt, stimmt’s?«, fragte sie und der Kollege nickte.
Ehe er ging, fügte er mit widerwilliger Bewunderung hinzu: »Unser Mann hat allerdings noch zusätzliche Anonymisierungssoftware und Add-ons wie ›noscript‹ verwendet. Um so komplett anonym zu bleiben, muss sich einer schon verdammt gut mit Computern auskennen.«
Monika hätte schreien mögen. Aus Frust, weil nichts voranging, und vor Wut, weil derjenige, der Viktoria getötet und – dessen war Monika sich inzwischen sicher – die Vierzehnjährige vergewaltigt hatte, immer noch unbehelligt da draußen herumlief. Und die Polizei an der Nase herumführte. Monika biss die Zähne zusammen. Sie durfte nicht aufgeben. Das war sie den beiden Mädchen schuldig. Die einzige Hoffnung, die ihr momentan blieb: Dass der Täter irgendwann einen Fehler beging. Was aber bedeutete, dass es zuvor vielleicht noch ein Opfer geben würde …
* * *
Er saß in seinem Zimmer und seine Hände umklammerten die Kante des Tisches so hart, dass die Fingerkuppen vor Anspannung weiß wurden.
Hatte er vielleicht doch einen schwerwiegenden Fehler begangen? Waren die anderen ihm etwa schon auf der Spur? Doch dann atmete er tief durch und mahnte sich zur Ruhe: Niemand hatte ihn in Verdacht. Er war zu klug für sie alle, das sollte er nicht vergessen. Nur nicht in Panik verfallen. Wer Angst hatte, machte Fehler. Und das durfte nicht mehr passieren. Nicht, nachdem ihm die Beute schon einmal entkommen war. Wie dumm er sich angestellt hatte. Wütend fletschte er die Zähne. Beim nächsten Mal würde er es geschickter angehen. Kurz drückte er beide Fäuste auf die Augen, um sich zu sammeln.
Langsam ließ seine Wut und die Lust nach, irgendetwas kaputt zu schlagen oder zu zerreißen, und er beruhigte sich. Er war auf dem besten Wege, die Beute anzulocken. Ein wölfisches Grinsen verzerrte sein Gesicht. Er fuhr seinen Computer hoch und begann zu schreiben.
* * *
9. Kapitel
Von:
[email protected] An:
[email protected] Betreff: Vergissmeinnicht …
Hallo Schlehenherz,
schönes Gedicht. Macht traurig, aber so ist es wohl, wenn einer stirbt. Mein Kumpel fehlt mir. Ich denke immer darüber nach. Hätte ich was tun können, damit er an diesem Tag nicht auf sein Motorrad steigt, irgendwie das Schiksal beeinflussen können? Ich weiß es nicht.
Dann versuche ich mir zu sagen, das es jetzt einfach so ist. Aber ich bin oft traurig. Und sauer. Das Leben ist nicht gerecht, oder?
Meine