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Schlehenherz

Schlehenherz

Titel: Schlehenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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Blick in die Mülltüte undschnaubte empört: »Fängst du jetzt auch noch mit einer idiotischen Diät an? Lila, wenn du glaubst, du musst abnehmen, dann …«
    Um nicht noch mehr Probleme heraufzubeschwören, brach ich mein selbst auferlegtes Schweigen und fiel ihr ins Wort: »Reg dich ab, okay? Ich will nicht abnehmen – ich hab einfach keinen Hunger.«
    Aber bei meiner Mutter blinkten wohl die Alarmlämpchen, denn sie nötigte mich an den Küchentisch, wo ich mich hinsetzen und warten musste, bis Julius seine Portion Nudeln hatte, die er – im Gegensatz zu mir vorhin – begeistert in sich hineinstopfte. Wenigstens war er still.
    »Lila«, fing meine Mutter an, und ich ahnte, was nun kam: »Das mit dem Psychologen tut mir leid. Ich hätte vorher mit dir reden sollen. Aber ich und dein Vater – wir machen uns eben Sorgen! Diese Sache mit Vio … Ich meine, so was wirft einen natürlich aus der Bahn. Und deshalb dachten wir …«
    »Genau«, unterbrach ich hitzig, »ihr dachtet, holt ihr mal schnell ’nen Seelenklempner für mich! Sollte er mich vielleicht gleich in die Klapse mitnehmen? Wäre ja ganz praktisch für euch gewesen, hättet ihr wenigstens keine Probleme mehr mit mir«, fauchte ich.
    »Lila, jetzt komm mal wieder runter! Aber … ich meine, schau dich doch an! Du läufst nur noch in Vios Klamotten herum und du hast dir die Haare genau wie sie gefärbt. Außerdem erzählst du kaum noch was, igelst dich ein … und überhaupt bist du total verändert!«
    »Na und?«, fuhr ich meine Mutter an. »Deswegen braucht ihr mich ja wohl nicht gleich als Psycho abzustempeln!«
    Meine Mutter seufzte: »Lila, niemand stempelt dich ab. Lass uns doch vernünftig miteinander reden«, bat sie.
    Doch sie hatte mich auf die Palme gebracht und jetzt saß ich dort oben und war nicht mehr bereit einzulenken. »Reden, reden! Was bringt das bitte schön? Wird dadurch Vio wieder lebendig?«
    Herausfordernd starrte ich meine Mutter an. Jetzt war ich mal gespannt, was ihr dazu einfiel.
    »Wir wollen dir doch nur helfen …«, fing sie an – doch ihre Mutter-Theresa-Nummer brachte bei mir das Fass endgültig zum Überlaufen:
    »Ihr wollt mir nicht helfen – ihr wollt mich kontrollieren. Euch passt es nämlich nicht, dass ihr nicht mehr alles von mir wisst. Ihr wollte die kleine, doofe, brave Lila wieder. Und wenn ich nicht mitspiele, holt ihr einen Psycho-Typen. Von wegen ›Hilfe‹ – ’ne Gehirnwäsche wollt ihr mir verpassen!«
    Meiner Mutter blieb der Mund offen stehen. Aber nur eine Sekunde, dann verfinsterte sich ihre Miene. »So nicht, mein Fräulein. Du gewöhnst dir ganz schnell einen anderen Ton an, sonst …«
    »Was sonst?«, fragte ich und starrte meine Mutter mit trotzig vorgestrecktem Kinn an.
    Ein Teil von mir, vielleicht der, der wirklich gerne vernünftig gewesen wäre, hoffte sogar, sie würde mir eine Ohrfeige verpassen. Vielleicht würde ich dann aufwachen und alles wäre nur ein böser Traum: Vios Tod, der Streit mit meiner Mutter … So heftig hatten wir uns noch nie gezofft. Einerseits tat sie mir leid, andererseits hatte ich eine Stinkwut auf sie.
    Natürlich schlug sie mich nicht. Ich hatte von meinen Eltern noch nie eine Ohrfeige bekommen, nicht mal einen Klaps. Meine Mutter sah plötzlich nur unendlich müde aus.
    »Geh in dein Zimmer, wir reden später«, sagte sie tonlos und wandte sich Julius zu, der aufgehört hatte, seine Nudeln zu essen, und uns mit großen, ängstlichen Augen beobachtete.
    »Hey, Kurzer, du hast ja das ganze Gesicht voller Ketchup«, sagte meine Mutter munter und kitzelte Julius, bis der anfing zu kichern. Für mich hatte sie keinen Blick mehr, also verzog ich mich – die Audienz war beendet.
    »Blauer Reiter« hatte sich immer noch nicht gemeldet. Ich fühlte mich einsam und von der ganzen Welt im Stich gelassen.
    Frau Neubauer hatte mir angeboten, ich könnte einige von Vios heiß geliebten Modemagazinen mitnehmen. Ich hatte ihr die Bitte nicht abschlagen können. Jetzt saß ich vor dem Kosmetikspiegel meiner Mutter, den ich aus dem Badezimmer gemopst hatte, und versuchte aus purer Langeweile mir Smokey Eyes zu schminken.
    Leider war das Ergebnis ein anderes, als es die Zeitschrift, die ich als Vorlage genommen hatte, versprach. Ich sah nicht »verrucht und geheimnisvoll« aus, sondern wie ein Vampir. Beim Casting für den nächsten Horrorfilm hätte ich vielleicht Chancen, aber wenn ich meinem kleinen Bruder so gegenübertrat, würde er garantiert den nächsten Schock

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