weg. Wie wäre es mit spatzierengehen?
Ich war nach der Schule sofort in mein Zimmer verschwunden, um vor dem Mittagessen noch meine Mails zu checken. Als ich den Absender gesehen hatte, klopfte mein Herz schneller. Jetzt musste ich über das »spatzierengehen« lächeln, doch dann wurde ich ernst. So gern ich wissen wollte, wie »Blauer Reiter« aussah, ich konnte mich nicht überwinden, ihn alleine zu treffen - wo keine Menschen um uns herum waren. Sicher würde er das verstehen.
Von:
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[email protected] Betreff: RE: Vorschlag
Hi Blauer Reiter,
ich würde dich auch gern kennenlernen, also »in echt«
☺
Aber lass uns doch lieber in einem Café treffen, ich kenne eine coole Location.
Schlehenherz
Von:
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[email protected] Betreff: AW: RE: Vorschlag
Die sind mir zu voll und zu laut. Wie sollen wir uns kennenlernen, wenn dauernt Leute da sind und quatschen? Was wir teilen, geht doch keinen was an, oder? Treffen wir uns, wo es ruhiger ist! Ich freue mich darauf!
Von:
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[email protected] Betreff: RE: AW: RE: Vorschlag
Hi Blauer Reiter,
ich freue mich auch, aber … sei mir nicht böse, ich würde mich lieber mit dir fürs erste Date in einem Café verabreden. Das hat nichts mit dir zu tun, dass ich dir nicht traue oder so, aber ich hatte neulich ein ganz blödes Erlebnis und seitdem bin ich ein Angsthase. Wie gesagt, geht nicht gegen dich, lass uns einfach ein ruhiges Eck im Café suchen. Okay?
Schlehenherz
Weil meine Mutter mich zum zweiten Mal energisch rief und ich nicht in eine neuerliche Diskussion mit ihr geraten wollte, ging ich brav nach unten und setzte mich an den gedeckten Mittagstisch. Mit meinen Gedanken war ichaber ganz woanders. Sie hätte mir genauso gut gebackenen Pappkarton servieren können, so wenig interessierte mich, was ich mir in den Mund schob.
Als ich wieder in mein Zimmer ging, hatte »Blauer Reiter« immer noch nicht zurückgeschrieben. Mir wurde es ein bisschen mulmig. Hatte ich ihn doch vor den Kopf gestoßen? Dachte er jetzt, ich hielte ihn für einen Psycho? Ich beschloss, Klartext zu mailen.
Von:
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[email protected] Betreff: RE: AW: RE: AW: Vorschlag
Hallo Blauer Reiter,
du bist wegen meines Vorschlags aber jetzt nicht sauer auf mich, oder?
Eine geschlagene halbe Stunde starrte ich auf die dämlichen Fische, die kreuz und quer über den Bildschirm schipperten. Dabei wartete ich sehnlichst auf seine Antwort. Ich fuhr sogar zwischendurch meinen Rechner runter und wieder hoch, falls sich das System aufgehängt hätte. Aber Fehlanzeige, alles funktionierte, bis auf die Kommunikation zwischen »Blauer Reiter« und mir.
Traurig schlich ich durch die Gegend und wusste nichts mit mir anzufangen. Lustlos erledigte ich meine Hausaufgaben, nur um danach wieder starr an meinem Schreibtisch zu sitzen. Ich konnte mich zu nichts aufraffen, selbst der Gedanke an einen Film oder Musik ödete mich an. Von Unruhe getrieben tigerte ich durch mein Zimmer und fühlte mich kribbelig und hilflos zugleich. Ich wartete auf etwas und war doch zum Nichtstun verurteilt. Noch eine Mail zu schreiben hatte keinen Sinn. Als die Nacht kamund Dunkelheit in mein Zimmer floss, in die nur meine Schreibtischlampe einen Lichtkreis warf, ging ich in die Badewanne. Doch selbst das heiße Wasser konnte die Kälte, die sich in meinem Inneren breitgemacht hatte, nicht vertreiben.
In meinen dicken Frotteebademantel gewickelt kam ich zurück und sah, dass ich eine neue Nachricht erhalten hatte. Endlich! Mit fliegenden Fingern klickte ich auf »Lesen«.
Von:
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[email protected] Betreff: kein Betreff
Aber du kamst nie mit dem Abend –
Wenn es an mein Haus pochte,
war es mein eigenes Herz.
Ich färbte dir den Himmel brombeer
Mit meinem Herzblut
Aber du kamst nie mit dem Abend.
(Else Lasker-Schüler)
Wie betäubt starrte ich auf das Gedicht. Er hatte keinen Betreff eingegeben, aber ich wusste auch so, was ich von »Blauer Reiter« erhalten hatte: eine Abschiedsmail.
* * *
Zufrieden schaltete er den Computer aus. Er würde nicht nach ihrer Pfeife tanzen, oh nein! Dazu war er zu clever. Er wusste, wie man den Köder auslegt.
Wie ein magerer Fuchs, den der Hunger trieb und der sich immer näher an die Häuser heranwagte, so würde auch die Beute immmer hungriger werden. Nach