Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben
Nach Traunstein. Ein Tipp, den Francesca von Frau Pschierer bekommen hatte. Bei unserem Spaziergang entlang der Traun bekam Francesca den Fotoapparat kaum von der Nase. An beinahe jeder Biegung des Weges präsentierte sich uns eine unwirklich schöne Landschaft. Grüne Wiesen, an deren Ende sich Wälder erhoben. Die Berge am Horizont. Das klare Wasser der Traun, in dem dicke Forellen schwammen. Ein Bauernhof, der aussah wie gemalt. Doch die Postkartenidylle war eben nicht gemalt. Sie war echt. Schließlich waren wir in einem Gasthof mit Biergarten gelandet. Oskar, der den ganzen Weg über herumgemault hatte, dass er nicht mehr laufen wolle, und schließlich auf meiner Schulter gelandet war, flitzte wie der Blitz zum Wildgehege, das sich gleich neben dem Biergarten befand, und bestaunte mit ein paar anderen Kindern die Rehe und Hirsche darin. Dann ging es ab auf den kleinen Spielplatz.
Hier draußen war die Welt für die Bayern in Ordnung. Kein Wunder, es gab noch einen König Ludwig. Der Himmel war, wie er sein sollte: weiß und blau. Und der Leberkäs aus der Küche des Gasthofes war ein Gedicht. Francesca hatte sich an meine Schulter gelehnt. Wir blinzelten in die Sonnenstrahlen, die in den letzten Wochen merklich an Kraft gewonnen hatten. »Gott mit dir, du Land der Bayern.« Der Atheist in mir schmunzelte über das Pathos der ersten Zeilen der bayerischen Landeshymne. Doch der Mensch in mir konnte sehr gut verstehen, dass jemand, der das Glück hatte, auf einem derart paradiesischen Flecken Erde zu leben, einen etwas kürzeren, direkteren Draht zum lieben Herrn da oben haben musste.
Zwei Mountain-Biker kamen den Weg zum Gasthof in schnellem Tempo geradelt, sie bremsten scharf, klackten sich aus den Pedalen und stellten ihre Räder, die eher an Leichtmotorräder erinnerten, am Zaun des Biergartens ab. Obwohl die beiden über und über mit Dreck bespritzt waren, hätte man sie gleich nehmen können und für einen Aventüre-Rice-Bike-Katalog fotografieren können. Sie waren perfekt ausgerüstet: Aliny-Trikot, Radhose von Gore, schnittige Duve-Brille, Rad-Handschuhe, Bike-Schuhe, Helm. In Gedanken versuchte ich die Preisschilder anzubringen. Da kam schon ordentlich was zusammen. Die beiden Hightech-Biker bestellten sich jeder – wie passend – ein Radler, ein in Bayern beliebtes Gemisch aus Limonade und Bier. Francesca hatte damit bereits unangenehme Erfahrungen gemacht. Bei einem Mittagessen in der Stadt war sie mutig genug gewesen, sich statt einem Wasser oder einem Saft endlich auch mal ein Radler zu bestellen. So wie sie es bei der fröhlichen Runde am Nebentisch gesehen hatte. Radler schmeckt zwar leichter als ein normales Bier und schlägt nicht mit derselben Härte zu, wirkt dafür aber umso schneller. Nach einem halben Glas jedenfalls saß Francesca nur noch apathisch da und behauptete, vollkommen betrunken zu sein, und schwor, dieses Teufelszeug nie wieder trinken zu wollen. Erst ein doppelter Espresso hatte sie an jenem Nachmittag fit für den Heimweg gemacht. Bei den beiden Mountain-Bikern schien das Radler ebenfalls zu wirken. Allerdings nicht auf den Bewegungsapparat, sondern direkt aufs Sprachzentrum.
»Wenn wir kein coordinated concept haben, wird uns niemand supporten! Damit gewinnen wir keine Leads!«, sagte der Kleinere von den beiden.
»Wir müssen das Ganze als giving story aufziehen, total contemporary, das ist der richtige Spirit für die Kampagne«, entgegnete der andere.
»Und wie willst du das Future-Denken in die Story einbinden? Außerdem brauchen wir eine starke Permission. Die muss catchy sein.«
»Klar, den provoking impuls müssen wir in jedem Fall noch pushen.«
Zufrieden stießen die beiden mit ihrem Radler an. Leads? Giving story? Future-Denken? Impulse pushen? Aus welchem Stall waren die denn ausgebrochen? Und worüber um alles in der Welt hatten sie sich bloß unterhalten? Leute wie die beiden waren uns schon öfter begegnet. Allerdings eher in der Stadt in den allgegenwärtigen Lounge-Restaurants. Mit dem Unterschied, dass die Sprachgestörten dort nicht in verdreckter Biker-Kluft, sondern in knittrigen Businessanzügen steckten.
Francesca, die das Gespräch ebenfalls verfolgt hatte, verzog säuerlich den Mund. Sie hasste dieses englische Deutsch. Sie kannte es bei ihrer Arbeit als Italienischlehrerin vor allem aus dem Unterricht, in dem sich alle Kursteilnehmer einander vorstellen und etwas über sich erzählen sollen. Wenn Francesca nach den Berufen der Leute fragte,
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