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Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Titel: Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Wiechmann
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natürlich auch niemand tat. Schon gar nicht die Kollegen aus der Grafik. Für sie waren die Redakteure keine Geistesgrößen, sondern Geisteskranke, die immer wieder um ein paar Sätze mehr im Layout feilschen mussten, anstatt sich einmal an die vereinbarte Zeichenzahl zu halten. Wenn die Grafiker nicht seit Jahren den von den Redakteuren fabrizierten Textmüll (da waren sie sich ausnahmsweise mit der Chefetage einig!) in pures Gold layouten würden, so schnell könne man das Wort »Insolvenz« gar nicht aussprechen, wie der Verlag dann pleite wäre. Ich glaube, sogar der Hausmeister hier hätte eine schlüssige Argumentation parat gehabt, warum einzig und allein ihm das Überleben des Verlages geschuldet war. Aber wir hatten keinen.
    Das Erstaunliche aber war: Das gemütliche Chaos funktionierte. Nicht zuletzt dank Max Brunner. Max Brunner war so etwas wie der heimliche Herrscher über das gemütliche Chaos. Dabei arbeitete er nicht etwa mehr oder besser als die anderen. Nein, er besaß die seltsame Gabe, dass Probleme in seiner Gegenwart einfach aufhörten zu existieren. Die Probleme waren weg, als wären sie nie da gewesen. Während im Fernsehen noch nach »The Next Uri Geller« gesucht wurde, hatten wir ihn längst gefunden. Keine Ahnung, wie Max Brunner das machte. Wenn er mit einem sprach, hatte man das Gefühl, der wichtigste Mensch auf der Welt zu sein. Nichts anderes zählte mehr. Schon gar keine Probleme. Man fühlte sich einfach wohl in seiner Gegenwart.
    So weit, so schlecht, denn nicht immer wollte Max mit anderen Menschen sprechen. Störte man Max, wenn er konzentriert über einem Text oder einer Aufgabe brütete, erlebte man ihn von seiner cholerischen Seite. Nur ein Typ wie er konnte sich mit einem der Chefs heftig streiten, dabei Worte benutzen, die bei jedem anderen die sofortige Entlassung bedeutet hätten, und den Rest des Tages weiterarbeiten, als ob nichts gewesen wäre. Ich hatte selten einen Menschen erlebt, der derart im Augenblick lebte. Max Brunner hatte einfach alles und alle im Griff. Das gemütliche Chaos sowieso.
    Immer wenn ich bereits glaubte, dass der Karren jetzt endgültig an die Wand gefahren sei, schafften es alle miteinander in einem hektischen Kraftakt, den Job doch noch so zu erledigen, wie man ihn von Anfang an hätte erledigen sollen. Was natürlich in dem Moment sehr anstrengend war und wovon man sich erst einmal wieder erholen musste. Das taten auch alle Kollegen ausgiebig. So ausgiebig, dass die nächsten Projekte sofort wieder unter Zeitnot und in den Chaosstrudel gerieten. Warum das so war, erklärte mir einer meiner neuen Kollegen, nachdem uns beiden eine gemeinsame Recherche übertragen worden war. Willy war um die fünfzig und schon eine Ewigkeit im Verlag. Er kannte sich also aus. Wenn ich es richtig mitbekommen hatte, war er geschieden und lebte allein. Die liebenswerte Nachlässigkeit, mit der er sich kleidete, passte dazu.
    »Wir haben hier ein besonderes Zeitmanagement«, ließ Willy mich wissen.
    Ich bezweifelte, dass es überhaupt eines gab. Aber ich war ja ein Mensch, der sich von harten Fakten und guten Argumenten gerne überzeugen ließ. »Und wie funktioniert dieses Zeitmanagement?«, fragte ich unschuldig nach.
    »Es geht darum, immer einen Puffer zu haben. Deswegen, wenn der Chef dich fragt, wie lange etwas dauert, dann überlege dir gut, wie lange es dauert, behalte es für dich, und sage ihm immer die nächsthöhere Zeitebene. Also, wenn etwas eine Stunde dauert, dann sagst du, dass du einen ganzen Tag dafür brauchst. Wenn etwas einen Tag dauert, kannst du ruhig auf einer ganzen Woche bestehen. Und wenn etwas eine Woche dauert, dann sagst du was?«
    »Ein Monat!?«
    »Genau.« Willy freute sich, dass er es mit jemand zu tun hatte, der mitdachte.
    »Ich kann das ja ganz gut verstehen, das mit dem Puffer«, wand ich mich. »Das ist ja auch richtig … an sich. Aber was, wenn ich den nicht brauchen sollte? Also, wenn ich doch schon eher fertig bin?«
    »Ja mei … lass dir halt etwas einfallen!« Willy schaute mich entgeistert an.
    »Was soll ich denn die ganze Zeit über machen?«, hakte ich nach.
    Der Widerwillen, meine Frage zu beantworten, stand Willy ins Gesicht geschrieben. Er zögerte eine Weile, bis er mir beschied: »Keine Ahnung. Schreib halt ein Buch.«
    Was für eine blöde Idee.
    »Wir haben auch einige passionierte Schachspieler in der Redaktion, die gerne online gegeneinander antreten.«
    Die Kollegen spielten während der Arbeitszeit

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