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Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Titel: Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Wiechmann
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dass ich die besser für mich behalten solle und dass unsere Familie bereits verhungert wäre, wenn ich als Innenarchitekt arbeiten würde. Außerdem lernte ich zwei neue italienische Schimpfwörter.
    Natürlich hatte die Positionierung des Kleiderschrankes eine Konsequenz. In diesem Fall ließ sich unser Bett nur noch so ins Schlafzimmer stellen, dass man mit den Füßen zur Tür schlafen musste. Was laut Francesca natürlich gar nicht ging, weil nur die Toten mit den Füßen zur Tür lägen. Solange Francesca diese Ungereimtheit nicht endgültig zu klären vermochte, schliefen wir halt im Wohnzimmer auf dem Sofa. Das stand zwar auch noch nicht am rechten Fleck, aber die Füße, die lagen dort, wo sie hingehörten. Mit anderen Worten, es war alles in bester Ordnung. Abgesehen von dieser einen Frage, die mir nicht aus dem Kopf wollte. Wo ist der Haken? An München? Diese Vielzahl an unwirklich schönen Tagen konnte unmöglich die ganze Wahrheit sein. Es gibt immer einen Haken!
    War die Entdeckung der Langsamkeit anfänglich eine ungewohnte Erfahrung für mich, spürte ich, wie mir die Entschleunigung, die der Umzug nach München mit sich gebracht hatte, nach und nach guttat. Es ging mir blendend. Die Arbeit war nicht nur nicht anstrengend, sondern machte Spaß. Francesca und Oskar fühlten sich wohl. Und die meisten Menschen waren nett. Komisch, noch vor ein paar Monaten war »nett« für mich immer nur die kleine Schwester von »Scheiße« gewesen. Aber hier waren die Leute für mich nett, ganz ohne jeden Hintergedanken.
    Wenn ich nach Hause kam, quatschte ich, besser gesagt ratschte ich, häufig eine halbe Stunde lang mit Frau Pschierer im Hausflur, die mir dort merkwürdig oft begegnete. Zufall? Besonders gerne sprachen wir über das Wetter und insbesondere über den Föhn, unter dem Frau Pschierer immer sehr litt. Denn der Fallwind aus Italien brachte der Stadt nicht nur schönes Wetter, sondern ihr leider auch Kopfschmerzen. Ich spürte nichts. Aber da Anneliese Pschierer auch wusste, bei welchem Metzger es die besten Bratwürste im Angebot gab und welcher Bäcker den besten Kuchen hatte, hörte ich ihr geduldig zu, wenn sie mir zum zehnten Mal erzählte, dass der Föhn eine rechte Plage und die Kopfschmerzen, welche er bei ihr hervorrufe, die schlimmsten überhaupt seien. Ganz anders als normale Kopfschmerzen. Nicht einmal Aspirin helfe dagegen. Abgesehen davon, dass sie ohnehin keine Tabletten schlucken würde, da sie eher der alternativen Medizin vertraue … In Gesprächen mit Frau Pschierer kam man so leicht vom Hundertsten ins Tausendste, und eine halbe Stunde verging wie im Flug. Doch die investierte Zeit lohnte sich, da ich Francesca und Oskar immer wieder mit Leckereien oder den ultimativen Pschierer’schen Ausflugstipps überraschen konnte.
    Mittlerweile hatten wir auch die anderen Bewohner unseres Hauses kennengelernt. Neben Georg »Schorsch« Rieger im Erdgeschoss wohnte ein Ingenieur aus Frankreich mit seiner Frau. Er baute Raketen. Bei EADS . Machte aber sonst einen ganz normalen Eindruck. Die zweite Etage war fest in der Hand einer türkischen Großfamilie, die gleich beide Wohnungen gemietet hatte. Die verwandtschaftlichen Beziehungen der insgesamt zwölf Personen waren nur schwer zu entschlüsseln. Zur Familie gehörten jedenfalls, wenn ich mich nicht verzählt hatte, sechs Kinder, zwei Männer, drei Frauen und eine Oma. In der dritten Etage hatte es die pfundige Frau Pschierer mit zwei Studenten als Nachbarn zu tun. Neben uns wohnte eine Stewardess, die, wie es sich für ihren Beruf gehörte, mehr ein Phantom denn eine wirkliche Mitbewohnerin war. Über uns wohnte ein Pärchen, double-income-no-kids, die immer wie Hugo-Boss-Models aussahen. Wie sich herausstellte, war die bunte und vor allem internationale Bewohnermischung nicht etwa die Ausnahme, sondern die Realität im Viertel. Auf dem Spielplatz wurde neben Deutsch vor allem Türkisch, Italienisch, Englisch und vereinzelt auch Französisch gesprochen. Nach einer kurzen Recherche fand ich heraus, dass dieses multikulturelle Treiben einen schlichten Grund hatte. Aufgeregt rief ich bei Thomas an.
    »Wusstest du, dass ein Viertel der Münchner Bevölkerung Ausländer sind? Das sind 25 Prozent!«
    »Ach was, das ist doch nur bayerische Propaganda! Und du fällst drauf rein!«
    »Nein, die Zahlen stimmen. München hat einen Ausländeranteil, der ist doppelt so hoch wie der von Berlin.«
    »Na und?«
    »Na und was? Ist doch komisch, dass

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