Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben
gestemmt, verkündete er mit trotziger Stimme:
»Das Bleichgesicht wurde bestraft! Wir haben ihn an den Marterpfahl gefesselt.«
»Was habt ihr!? Wo sind überhaupt eure Mütter?«
»Die sitzen in der Küche und ratschen.«
»Ja mei, i sog dir was, du gefährliche Rothaut. Der Julian ist gerade mal zwei. Es ist feige und unfair, ihn an den Marterpfahl zu fesseln. Du gehst jetzt raus und bindest ihn los. Und dann schnappst du dir gemeinsam mit Lukas den Oskar zum Fesseln. Einverstanden?«
»Ja, gut«, schmollte Simon leicht enttäuscht und wollte abhauen.
Ich glaubte, mich verhört zu haben.
»Halt! Ähh, also ich glaube nicht, dass ich es so eine gute Idee finde, den Oskar an den Marterpfahl zu fesseln! Findest du nicht, dass solche Spiele ein bisschen zu gewalttätig sind?«
»A geh, des san Buam, und die müssen sich ein bisschen raufen«, entgegnete mir Max seelenruhig. Und zu Simon gewandt sagte er: »Änderung im Plan. Du bindest Julian los, und dann schnappst du dir gemeinsam mit dem Oskar den Lukas zum Fesseln.«
Wenig später sah ich, wie Simon und Oskar Lukas unter lautem Geschrei in den Garten zogen. Meine pazifistischen Erziehungsversuche der letzten zwei Jahre waren innerhalb von fünf Minuten komplett den Bach runtergegangen. Ganz offensichtlich bereitete dieses Spiel Oskar großen Spaß, und selbst Lukas schien nicht wirklich unglücklich mit seinem Part zu sein. Im Gegenteil, er stieß einfach eine Reihe wilder Flüche in Richtung seiner beiden Peiniger aus und fügte sich sonst in sein Schicksal. Und auch wenn Max mir bereits erklärt hatte, dass »hinterfotzig« eigentlich kein so schlimmes Schimpfwort sei, fragte ich mich, ob es nicht besser sei, den Kindern zu sagen, dass man mit solchen Worten lieber sparsam umgehen sollte. Vor allem draußen im Garten, wo die Nachbarn jedes dieser Worte mitbekamen. Aber es waren ja die Nachbarn von Max und nicht meine. Und Max würde schon wissen, was er tut. Das tat er schließlich immer. Ich wünschte, ich könnte dasselbe von mir sagen. Mit der Wanderung hoch auf den Watzmann hatte ich mir jedenfalls ganz schön was eingebrockt.
Auf der Heimfahrt, Oskar war bereits nach wenigen Minuten im Auto eingeschlafen, unterhielt ich mich mit Francesca über den Plan, gemeinsam mit Max eine Bergtour zu machen. Sie lachte.
»Du willst wirklich bergsteigen gehen?«
»Aber klar doch, warum nicht? Max meinte, wer laufen kann, der käme auch einen Berg hoch.«
»Na dann …« Francesca lächelte still vor sich hin. Anscheinend war es um meinen Ruf als Sportler nicht mehr allzu gut bestellt. Klar hatte ich in den letzten Monaten nicht allzu viel Sport gemacht und war vielleicht ein wenig eingerostet. Aber deswegen hatte ich noch längst nicht diesen spottenden Unterton verdient.
»Worüber habt ihr euch eigentlich die ganze Zeit in der Küche unterhalten?«, lenkte ich vom Thema ab.
Ohne Erfolg: »Wir haben uns darüber unterhalten, wie es ist, mit alten Männern verheiratet zu sein, die immer noch meinen, dass sie auf hohe Berge steigen müssten.«
Na toll.
»Und weißt du, was wir herausgefunden haben? Wir haben herausgefunden, dass es perfekt ist, mit solchen Männern verheiratet zu sein.«
Francesca beugte sich zu mir und gab mir einen Kuss. »Das war ein sehr schöner Tag. Auch wenn ich wieder nur die Hälfte von dem verstanden habe, was Anna mir erzählt hat. Und du hast wirklich keinen Bammel vor dem Bergsteigen?«
»Natürlich nicht! Ich bin schließlich kein Breznsalzer«, sagte ich und versuchte dabei so überzeugt wie möglich zu klingen. Wie heißt es hier in Bayern doch immer? Der Berg ruft! Ich konnte ihn buchstäblich schon hören, wie er an meine Adresse gerichtet höhnte: »Na komm doch endlich hoch, du Lusche!« Nein, »Bammel« war definitiv nicht das richtige Wort für meinen Gemütszustand. Ich fand, der Begriff »Panik« war wesentlich treffender.
13. Kapitel: In dem versucht wird, vor dem Tod davonzulaufen und dabei eine möglichst gute Figur zu machen
Ich war tot. So was von tot. Zwei Monate hatte ich noch zu leben. Dann würde ich mit Max in die Berge fahren und niemals von dort wieder zurückkehren. Ich wusste es. Immer wieder kamen mir die abenteuerlichen Fotos in den Sinn, die Max mir gezeigt hatte. Meine Panik hatte sich mittlerweile verfestigt. Ich hatte im Internet die geplante Tour recherchiert und war auf drei, vier Fotoserien gestoßen, die die Bilder von Max noch übertrafen. Die sahen einfach verdammt gefährlich aus!
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