Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben
Francesca zu mir.
»Mann!«, flüsterte ich zurück.
»I hab ihn bloß ogschaut und gesagt: ›I bin die Anneliese.‹ Und von da an waren wir ein Paar. I bin dann mit auf seinen Frachter. Einen Monat lang waren wir auf See. Des war quasi unsere Hochzeitsreise. Obwohl wir noch gar nicht verheiratet waren. Des ham mir in München dann gleich nachgeholt. Mei, ich hätt nie gedacht, dass ich einmal so viel von der Welt sehen würd. Wann immer es ging, bin i mit dem Michi mitgefahren. Drei, vier Monate im Jahr waren wir eigentlich immer gemeinsam unterwegs.«
»Wo waren Sie denn überall?«
»Vor allem in Asien und Afrika. Wobei es mir in Asien immer besser gefallen hat. In Südamerika warn wir auch. Nur nach Australien sind wir nie gekommen.«
»Fliegen Sie heut denn auch noch oft durch die Welt?«
»Naaa, des moch i nimmer.« Frau Pschierer zeigte auf ihren fülligen Körper. »Wissen S’, zum Reisen muss man frei sein. Der Michi und ich, mir ham damals immer am Strand geschlafen. Im Zug. Oder auf dem Bahnhof. Oder bei Leuten, die uns eingeladen haben. Wissen S’, in Goa zum Beispiel, da gab’s ja genug Hütten, die wer gebaut hat. Da ist man immer irgendwo untergekommen. Wenn die einen geschlafen haben, haben die anderen getanzt und umgekehrt. Heut dieses Durchorganisierte, des könnt ich nicht.«
Wahnsinn, Frau Pschierer war ein waschechter Hippie, gefangen im Körper einer bayerischen Oma. Ich versuchte, sie mir in Goa vorzustellen, wie sie zugedröhnt, vielleicht sogar hüllenlos, zu psychedelischen Klängen am Strand tanzte. Es passte so gar nicht zu dem Bild spießiger Gemütlichkeit, für das die Bayern standen. Komisch, irgendwie sind nicht einmal mehr die Vorurteile das, was sie einmal waren. Aus der Liebe zum Tanzen hatte Frau Pschierer einen Beruf gemacht. Ihr gehörte eine Tanzschule. Und obwohl Anneliese Pschierer ordentlich zugelegt hatte, konnte man an ihren Bewegungen leicht erkennen, dass sie eine gute Tanzlehrerin war.
»Wir machen auch Kindertanz«, sagte Frau Pschierer.
»Oh, che bello – wie schön!« Francesca war begeistert. »Das schauen wir uns gerne mal an! Nicht wahr, Oskar?« Der Angeklagte verzichtete darauf, noch etwas zu seiner Verteidigung zu sagen, und nahm das Urteil stillschweigend an. Frau Pschierer hatte mittlerweile eine Schnapsflasche auf den Tisch gestellt. Die Flasche ohne Etikett enthielt eine orangegelbe Flüssigkeit.
»Marillenlikör! Den müssen S’ probieren! Selbst gemacht. Den bringt mir eine Freundin immer mit.« Likör, das Getränk von Menschen, die ein Leben auf dem Sofa führen. Oder war Frau Pschierers Freundin auch ein Alt-Hippie und hatte die Marille mit LSD oder anderen bewusstseinserweiternden Drogen angerührt? Der erste Schluck war eine echte Herausforderung. Bei Frau Pschierers Freundin schien der Übergang vom Likör zum Schnaps fließend zu sein. Das Gesöff war stark, aber trotzdem süffig.
»Wissen S’, was mei Michi immer gesagt hat, wenn wir von unseren Reisen wiederkamen? Anneli, hat er gesagt, hier, zu Hause, ist es am besten. Und wissen S’ was? Ich find, er hat recht gehabt.«
»Was ist denn mit Ihrem Mann passiert?«, fragte ich vorsichtig an und erwartete die ausführliche Beschreibung einer langen Krankheit. Alte Damen machen das ja gerne. Doch Frau Pschierers Antwort war sehr überraschend.
»Ja mei, der Michi, der is vor zehn Jahren ausgewandert. In die Karibik.« Ausgewandert? Und das, obwohl es zu Hause doch am besten ist. War das nicht ein Widerspruch? Für mich war das ein Widerspruch! Für Frau Pschierer schien das ganz normal zu sein.
Francesca war ebenso erstaunt wie ich. »Wollten Sie nicht mitgehen?«
»Naa, wissen S’, ich hab die Welt gesehen. Und eins können S’ mir glauben. München is so schee.«
»Schee?«, flüsterte Francesca.
»Schön«, flüsterte ich zurück.
Frau Pschierer fuhr fort. »Und des Land drum herum, die Berge, des is auch so schee. Wieso sollt ich woanders leben, wenn’s hier doch schon so schee is.«
»Haben Sie wirklich keinen schöneren Ort als Bayern gefunden auf Ihren Reisen?«
Frau Pschierer überlegte, als würde sie über diese Frage zum ersten Mal in ihrem Leben nachdenken. Und dann sagte sie: »Wissen S’, schöner als schön. Des geht doch gar nicht.«
Da hatte Frau Pschierer natürlich vollkommen recht. Der bayerischen Logik kann man sich schwer entziehen. Die bayerische Logik wirkt. Nicht etwa, weil man sie so gut versteht, das nicht. Die bayerische Logik wirkt, weil
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