Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben
immer noch in eine Kneipe schleppen und betrunken machen.
Fürs gute Essen setzte ich aufs Paulaner im Tal. Mein gastronomisches Wissen war dank Max mittlerweile recht umfangreich geworden. »Nimm den Krustenbraten. Des is eigentlich ein Wammerl, also Bauchspeck. Aber wenn das Krustenbraten heißt, klingt es einfach besser und mehr Leute essen das dann auch. Ist wirklich gut.« Thomas vertraute mir und wurde nicht enttäuscht. Doch als die Bedienung zu uns an den Tisch gekommen war und uns mit dem üblichen »Grüß Gott« begrüßt hatte, konnte Thomas es sich natürlich nicht verkneifen, ihr zu antworten, dass er das tun würde, sobald er dem himmlischen Herrscher begegnete. Ansonsten gefiel ihm das Lokal sehr gut. Neben uns am Tisch saß eine Runde Männer, die Karten spielte und den Spielverlauf ständig kommentierte. Beinahe jede geworfene Karte wurde diskutiert. Dabei geizten die Spieler nicht mit bayerischen Kraftausdrücken. Ruhig war es an dem Tisch eigentlich nur, wenn die vier etwas trinken mussten. Ein paar Meter weiter hatte sich eine größere Familiengesellschaft eingefunden. Opas Geburtstag sollte gefeiert werden.
»Guck mal!«, zischte Thomas plötzlich, der von seinem Platz aus das Treiben an dem Familientisch bestens beobachten konnte. Ich drehte mich kurz um und sah, wie der Jubilar ein Stück Brezn in sein Bier tunkte und es einem vielleicht acht Monate alten Baby vor die Nase hielt. Offensichtlich sein Enkel, der glücklich im Schoß seiner Mutter an dem dargebotenen Teigstück nuckelte.
»Ah geh«, bemühte ich mich um bayerische Gelassenheit.
»Siehste, von klein auf werden die Menschen hier infiltriert. Wie früher bei uns im Osten. Mannomann, schon die Säuglinge auf Bier abrichten. Kein Wunder, dass die am Ende alle so werden, wie sie sind.«
Richtig große Augen bekam Thomas jedoch erst, als am Nebentisch riesige Platten mit Fleischbergen sowie Schüsseln mit Knödeln und Kraut aufgetragen wurden. Die Mengen waren enorm. Und wenn eine Platte oder Schüssel leer war, wurde eilig eine neue aufgetischt. Thomas liebte Fleisch. Was am Nebentisch vor sich ging, war für ihn ein Traum.
»Was ist das denn?«, fragte er gierig. »Das ist ja wie Weihnachten, Ostern, mein Geburtstag und dein Geburtstag an einem Tag!«
»Ach das? Das ist das Omaessen«, bemerkte ich betont beiläufig und zeigte es ihm in der Karte. Das Omaessen ist das ultimative Gelage, die bayerische Variante des All-you-can-eat-Prinzips. Kalb, Schwein und Ente, so viel, wie man schafft, dazu Knödel, Soße und Kraut. Blau oder weiß, wie gewünscht. Alles serviert auf großen Platten und in großen Schüsseln, sodass sich jeder selbst bedienen kann.
»Die Kellner servieren so lange weiter, bis wirklich der Letzte am Tisch nach einem Schnaps bettelt«, erklärte ich Thomas.
»Das will ich auch.« Mittlerweile schaute er wie ein Hund, der wartet, dass er von seinem Herrchen auch endlich einen Happen zugeworfen bekommt. »Wammerl, Omaessen … wieso kennst du dich eigentlich so gut aus?«, wollte Thomas wissen.
»Ja mei! So halt.«
Thomas schüttelte nur den Kopf und bestaunte weiter die fröhliche Orgie am Nebentisch. Fehlte bloß noch, dass er anfing zu sabbern. Auf dem Weg nach Hause erzählte Thomas, was in Berlin grade angesagt war. Neue Clubs, neue Lokale, neue Trends, neue Baustellen. Mir kam es so vor, als redete er von einer andren Welt, einer Welt, die viel weiter weg lag als nur sechshundert Kilometer.
An heißen Sommertagen gleichen die Steinstrände der Isar einem dieser Wimmelbilder von Ali Mitgutsch. Hier kann man faulenzen, baden, lesen, Hunde Gassi führen, picknicken, flirten, Steine sammeln, schlafen, joggen, träumen, rauchen, sich verlieben, sich entlieben, vor sich hin dösen, Musik hören, Fußball spielen, spazieren gehen, lachen, nachdenken, streiten, sich sonnen, Nackte begaffen, grillen, radeln, Partys feiern …
Oskar liebte die Isar vor allem aus drei Gründen: Erstens konnte man dort Forellen gucken. Zweitens den lieben langen Tag Steine ins Wasser schmeißen. Und drittens die Forellen mit Steinen bewerfen. Eigentlich wollte ich nicht, dass Oskar Steine auf andere Lebewesen warf. Aber da Oskar stets so zielte, als hätte er 2,2 Promille im Blut, waren die Fische vor seinen Steinen sicher, und ich konnte mir diesbezüglich erzieherische Maßnahmen sparen.
Wir hatten uns am Samstagnachmittag in die Nähe des Flauchers aufgemacht, wo die Isar erst vor Kurzem mit enormem Aufwand renaturiert und
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