Schleichendes Gift
meinte er, neben der Tatsache, dass sie ehemalige Schüler von Harriestown High sind, sei es dies, was die Opfer verbinde. Und dann erinnerte er sich an Kevins Wagen. Also hat er den Anruf gemacht.«
»Und Sie fanden das nicht ein bisschen plötzlich? Eine etwas übereilte Reaktion?«
Ein langes Schweigen folgte. »Wir dachten beide, Vorsicht ist besser als Nachsicht, Chefin.«
Don Merricks Name schwang in der Stille mit. »Danke, Paula. Ich werde mit Tony sprechen. Wissen Sie zufällig, wo er ist?«
»Ich habe ihn am Krankenhaus abgesetzt. Er war ziemlich fertig.«
»Haben Sie irgendwas von Mrs. Diamond erfahren?«, wollte Carol wissen.
»Nichts, das uns weiterbringt. Sie hat eingewendet, dass Aziz nicht habe wissen können, dass ihr Mann bei dem Spiel war, es müsste also Zufall gewesen sein.«
»Nicht unbedingt. Soweit ich weiß, hatte die gleiche Gruppe seit Jahren eine Jahreskarte für die Loge. Es ist möglich, dass Benjamin Diamond das beiläufig bei einer ihrer Besprechungen erwähnt hat. Nach meiner Erfahrung mit Männern und Fußball lassen sie genau so etwas gern nebenbei fallen. Ich glaube, wir müssen mit Diamonds Sekretärin reden.«
»Er hat keine. Laut Rachel führten die beiden das ganze Unternehmen allein. Sie erledigte hauptsächlich die Büroarbeit, er kümmerte sich um Kundenkontakte.«
»Na gut. Viel Erfolg bei Ihrer Fotojagd. Bis später.« Carol legte auf und drückte die Fäuste an ihre Schläfen. Was hatte er vor? Sie war daran gewöhnt, dass Tony plötzlich in eine andere Richtung steuerte, aber im Allgemeinen berichtete er ihr vorher davon. Nach seinem kürzlichen Zusammenstoß mit einem Mörder hatte sie gehofft, er hätte endlich gelernt zu denken, bevor er handelte. Aber offensichtlich hatte sie sich getäuscht. Sie nahm das Telefon und machte sich auf eine schwierige Auseinandersetzung gefasst. Warum konnte ihr Leben nicht einmal einfach sein?
Sie hatte das Pech, dass ihr Wunsch in Erfüllung ging. Kein zänkisches Streitgespräch mit Tony. Sein Handy war abgeschaltet, und sein Telefon im Krankenhauszimmer nahm er nicht ab. Der verdammte Kerl. Dieser verdammte, störrische Kerl.
Der besagte verdammte Kerl wurde von dem Telefon neben seinem Bett aus tiefem Schlaf geweckt. Tony war es egal, wer anrief, er war noch nicht so weit, dass er sprechen konnte. Das war eine der wenigen Annehmlichkeiten, wenn man mit einem kaputten Knie im Krankenhaus festsaß. Wenn alles normal lief, musste er abheben. Er hatte Patienten, die ihn vielleicht dringend brauchten. Er hatte Verträge mit verschiedenen Polizeidienststellen in Europa, die eventuell wichtige Fragen hatten. Aber im Moment war er offiziell außer Gefecht gesetzt und konnte das Telefon klingeln lassen. Sollte doch jemand anders die Verantwortung übernehmen.
Außer dass er natürlich Carol und ihrem Team verpflichtet war. Verpflichtet auf eine Art und Weise, die weit über eine vertragliche Bindung hinausging. Er hätte wahrscheinlich abnehmen sollen. Aber das Gespräch mit Rachel Diamond hatte ihn völlig ausgelaugt. Er war zurückgekommen, hatte seine Medizin genommen, zu Mittag gegessen und war dann sofort in einen tiefen, schweren Schlaf gesunken, nach dem er sich jetzt dumm und unkonzentriert vorkam. Nicht die beste Zeit, um mit Polizeibeamten zu reden, die man davon überzeugen wollte, dass man recht hatte.
Er hoffte, dass Kevin ihn ernst genommen hatte. Was Paula ihm über Steve Mottisheads Erinnerungen berichtet hatte, war auf jeden Fall das Unheimlichste gewesen, was er bislang über Stalky, den Giftmischer, gehört hatte. Die Verbindung über die Harriestown High School bestand in seinem Kopf sowieso schon. Aber Jack Andersons Liste, die so exakt auf zwei vermeintlich nicht miteinander verbundene Opfer zutraf, hatten Tony aufhorchen lassen. Nur ein Mensch mit rücksichtsloser Mentalität stellte in ernsthafter Absicht eine solche Liste zusammen. Man konnte voraussehen, dass eine solche Person ihre Ziele unerbittlich verfolgen würde. Aber da ihm Einfühlungsvermögen fehlte und er soziopathische oder psychopathische Tendenzen hatte, war es völlig unvorhersehbar, wie er darauf reagieren würde, wenn er diese Ziele verfehlte.
Tony erinnerte sich an eine Patientin, die ihm stolz erzählt hatte, dass sie absichtlich die Ehe ihres Geschäftspartners zerstört hatte. Nicht aus sexuellen oder emotionalen Gründen, sondern weil die Frau ihres Partners nicht überzeugt genug hinter der Firma gestanden hatte. »Ich musste
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