Schleier der Traeume
Sie mir doch bitte einen Gefallen.« Er warf einen Blick in den Rückspiegel. »Besorgen Sie einen neuen Wagen.«
18
Während Rowan darauf wartete, dass Sean nach Hause kam, ging sie ins Bad, sah in den Spiegel und studierte ein, was sie ihm sagen würde. Sie konnte nicht bleiben, würde aber nicht aus seinem Leben verschwinden, ohne ihm eine Art Erklärung gegeben zu haben; er hatte Besseres verdient. Sie wusste auch, dass diese Erklärung kurz und nett sein und ihn überzeugen musste, sie zu vergessen.
Sie sah sich in die Augen. »Ich bin verheiratet und kehre zu meinem Mann zurück.« Das war eine gute Erklärung, doch sie trug keinen Ring, und letzte Nacht hatte er garantiert mitbekommen, dass sie schon lange mit niemandem mehr ins Bett gegangen war.
Rowan versuchte es anders. »Ich habe diese Krankheit und bin in ein paar Wochen tot. Deshalb gehe ich jetzt ins Krankenhaus.« Das zog nicht mal mehr in Vorabendserien. »Ich habe einen anderen getroffen und ziehe zu ihm.« Das machte sie augenblicklich zur Schlampe, wäre also wirkungsvoll, aber nicht nach ihrem Geschmack. »Ich habe mich in Dansant verliebt.« Das war zumindest die halbe Wahrheit.
Verzweiflung überkam sie, und sie stützte sich aufs Waschbecken. Welche Lüge oder Wahrheit auch hinhauen mochte: Rowan würde nicht schaffen, sie ihm ins Gesicht zu sagen – es war zu hart. Also musste sie das
D’Anges
heute verlassen, das Mädchen finden und woanders unterkriechen, bis es Zeit war, abzureisen. Ein sauberer Schnitt, keine Telefonate, kein Gespräch unter vier Augen – anders ging es nicht.
In ihrer Wohnung nahm sie Stift und Papier, setzte sich in die Essnische und fing an zu schreiben.
Hey,
tut mir leid, dass ich nicht mehr da bin, um es dir persönlich zu sagen, aber ich gehe. Ich hab’s gestern Abend vermurkst und mich mit Dansant eingelassen, und jetzt bin ich, glaube ich, in euch beide verliebt.
Rowan kaute am Stift. Sie sollte
glaube ich
streichen, denn sie war sich dessen gewiss. Verdammt, dachte sie, bring es endlich hinter dich.
Ich möchte keinen von euch verletzen und kann mich nicht entscheiden. Und dass ihr euch auf eine Ménage-à-trois einlassen wollt, glaube ich auch nicht. Deshalb verschwinde ich mit einer Freundin. Tut mir leid, Bauernjunge. Verkauf mein Motorrad, wenn es repariert ist, und behalte das Geld für die Werkstattkosten. Pass auf dich auf. Alles Gute.
In Liebe
Törtchen
Sie las die Nachricht dreimal und widerstand der Versuchung, sie in Fetzen zu reißen. Was sie da geschrieben hatte, klang dumm, erbärmlich und ganz unangemessen, musste aber genügen. Sie faltete das Blatt und ging in den Flur, um es unter seiner Tür durchzuschieben, fluchte dann, schob das Papier in den Mund, griff zum Türrahmen hoch und ertastete seinen Ersatzschlüssel.
Sie würde nichts Wichtiges mitnehmen, dachte sie, als sie aufschloss und eintrat – nur etwas Kleines, das er nicht vermissen würde und das ihr in den vielen einsamen Nächten, die da kämen, ein Andenken wäre. Vielleicht ein Flanellhemd, ein ungewaschenes, das noch nach ihm roch. Und dann würde sie nach unten gehen und Dansant ein Jackett stehlen, um auch von ihm etwas zu besitzen.
Wenn ich mich weiter so verliebe, halten die Leute mich noch für eine Transe
.
Rowan ging in sein Schlafzimmer, setzte sich aufs Bett und hob die verknäulten Laken ans Gesicht. Sie rochen nach ihm, aber auch nach ihr, eine Duftmischung, die gut passte, wie sie fand. Und schon spürte sie die Tränen kommen und sprang vom Bett. Sie durfte nicht in seiner Wohnung sitzen und um das weinen, was nie sein würde. Sie musste packen und unbedingt von hier verschwunden sein, bevor er nach Hause kam.
An der Lehne des Schreibtischstuhls hatte sie ein Hemd von ihm hängen sehen, und nachdem sie die Nachricht sorgsam auf sein Kopfkissen gelegt hatte, ging sie es holen. Beim Überziehen bemerkte sie ein Foto neben einer Akte – das Bild eines kleinen Mädchens mit blondem Haar und blauen Augen.
Mit zitternder Hand nahm sie das Foto vom Tisch und hielt es so vorsichtig wie eine Handgranate. Ob auf der Rückseite ein Datum stand? Tatsächlich befanden sich am Rand ein paar schwach lesbare Zahlen. Da die Aufnahme beschnitten war, fehlte die obere Hälfte, doch Rowan wusste bereits, worum es sich handelte.
11 . 07 . 97
Langsam öffnete sie die Akte und las die erste Seite, eine Vermisstenanzeige von 2008, die einer Jugendlichen namens Alana King galt, die sechzehn sein sollte. Kaum sah Rowan
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