Schleier der Traeume
nicht erlauben würde, die Simulation zu zeigen.« Sie verschränkte die Arme. »Dieses Experiment konnte ich nur hinter seinem Rücken durchführen.«
Genaro nickte langsam. »Gut. Ziehen Sie Kopien von der Simulation, und ich möchte möglichst schnell eine komplette Analyse des Experiments bekommen – mit allen Fußnoten und der vollständigen Forschungsliteratur.«
»Liegt noch vor Feierabend auf Ihrem Schreibtisch, Sir.« Nella verließ das Labor, ohne Kirchner eines Blickes zu würdigen.
Genaro wandte sich erst an seinen Genetiker, nachdem sich die Türen der Luftschleuse wieder geschlossen hatten. »Ihre Assistentin ist sehr ehrgeizig, Elliot. Sie will Ihren Job, nehme ich an, um vollen Zugang zu den Projektunterlagen zu bekommen.«
»Halten Sie sie für eine Spionin?«
Genaro zuckte mit den Achseln. »Hat sie Ihnen mal ein ungewöhnliches Angebot gemacht?«
»Sex – einen Monat, nachdem ich sie eingestellt hatte. Ich dachte, ich hätte ihr diese Flausen ausgetrieben.« Der Genetiker rieb sich die Stirn. »Verzeihen Sie, Mr Genaro – es wird nicht mehr vorkommen.«
»Lassen Sie sie nicht beseitigen.« Als Kirchner ihn überrascht ansah, setzte Genaro hinzu: »Sie hat das Problem mit dem Transerum immerhin gelöst. Ich finde, das allein verdient eine gewisse Anerkennung.«
Kirchner runzelte die Stirn. »Woran denken Sie, Sir?«
»Sobald wir die weibliche Kyndred mit der dominanten DNA wiederhergestellt und damit das Transerum stabilisiert haben, brauchen wir ein frisches Hirn.« Genaro betrachtete die Simulation, die noch immer in Endlosschleife vor ihm auf dem Bildschirm lief. »Das von Dr. Hoff dürfte gut geeignet sein.«
3
Taire spähte ein letztes Mal durch das Loch, das sie ins Eis der Scheibe gekratzt hatte, und sah zu, wie Dansant Rowan zur Treppe neben dem hinteren Lagerraum führte. Sie lockerte die zu Fäusten geballten Hände und legte die Stirn ans Fenster. Ihr Atem ließ die dünne Frostschicht schmelzen, und die Tropfen rannen über die Glasscheibe so wie die Tränen über ihr Gesicht.
Rowan war von dem Unfall angeschlagen, aber nicht allzu sehr. Taire hatte alles mitbekommen: Rowan nahm den Job an, den Dansant ihr angeboten hatte. Rowan blieb.
Es hatte geklappt.
Taire wischte sich mit dem Ärmel Gesicht und Nase, entfernte sich von der Scheibe und achtete darauf, im Dunkel zu bleiben. Niemand war mehr draußen, und sie wohnte nur drei Querstraßen weiter, wollte aber nicht riskieren, gesehen zu werden. Nicht jetzt, da sie kurz davor war, endlich echte Antworten zu bekommen.
Sie ist älter, und sie ist allein
. Taire führte ihre kalten, vor Kälte gekrümmten Finger zum Mund und hauchte in die Handflächen.
Sie hat die Male. Sie muss etwas wissen
.
Eine Stunde zuvor hatte Taire gedankenverloren ein paar Jungen beim Sprayen von Graffiti zugesehen, als Rowan mit ihrem Motorrad an der Ampel gehalten hatte. Als Erstes war ihr die Jacke aufgefallen, die die Bikerin um die Taille trug, obwohl es draußen bitterkalt war. Dann war ein Gangmitglied zu ihr gegangen, hatte sie angemacht und anschließend versucht, den Schlüssel aus der Zündung zu ziehen, doch sie hatte den Kerl gepackt. Dabei war ihr Ärmel hochgerutscht und ein schwarzes Tattoo zum Vorschein gekommen, bei dessen Anblick Taire sofort hellwach geworden war.
Und dann war etwas Seltsames passiert.
Taire hatte Rowans Gesicht nicht erkennen können, wohl aber das seltsame blaue Leuchten, das unter ihren Ärmeln hervorgekrochen war. Sie hatte gehört, wie der Junge sie mit einem spanischen Namen ansprach. Und trotz der Kälte hatte Taire den Hauch eines herben, würzigen, die Nase kitzelnden Geruchs gespürt – eines vielschichtigen und fremdartigen Aromas, das von Rowan ausgegangen war.
Sie hatte tief Luft geholt, um den Geruch genauer zu analysieren, und Pampelmusen-, Eichen-, Apfel-, Birnen- und Minzaromen gewittert. Dann war ihr der Silvesterabend wieder eingefallen, an dem das Kindermädchen Cristal einen Champagner aus dem Weinkeller zu ihr ins Schlafzimmer geschmuggelt hatte, um ihr eigenes kleines Fest zu feiern. Damals hatte sie die kleine Taire einen Schluck aus der klaren Sektschale trinken lassen.
Rowan, das Bikermädchen, roch genauso. Wie Cristal.
Taire blieb gegenüber von ihrem Unterschlupf stehen, wartete und beobachtete beide Straßenseiten. Das alte Hotel war seit einigen Jahren geschlossen, doch der Eigentümer hatte bis zu seinem Tod im Vorjahr an seinem Besitz gehangen. Taire hatte das Haus
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