Schleier der Traeume
gerade seinen Koffer, als das Telefon klingelte. Dabei kannte niemand die Nummer, nicht mal die Mädchen vom Auftragsdienst. Wie Wohnung und Restaurant gehörte das Telefon Dansant. Meriden überlegte, es aus dem Fenster zu werfen, nahm dann aber den Hörer ab.
»Sie enttäuschen mich, Mr Meriden«, sagte King ungerührt. »Womöglich hat eine Demonstration nicht gereicht. Soll ich Ihnen noch eine geben?«
»Sie bringen mich doch sowieso um, wenn es Ihnen passt, King«, erwiderte Meriden. »Ob ich den Auftrag annehme oder nicht. Also soll Ihr Killer mich ruhig jetzt erledigen, denn lieber brate ich in der Hölle, als für Sie zu arbeiten.«
»Eine bemerkenswerte Antwort – und nicht die, die ich erwartet habe. Ich glaube ja nicht an die Hölle.« Er zögerte kurz. »Anscheinend haben Sie eine neue Nachbarin. Die Überwachungsfotos von ihr und ihrem Vermieter werden Sie interessieren. Binnen einer Minute dürfte bei Ihnen ein Umschlag abgegeben werden.«
Meriden ließ den Hörer los, stürmte zur Wohnungstür und riss sie auf. Ein Junge mit weißen Knopfhörern in den Ohren und einem braunen Papierumschlag in den Händen stand gebückt da und blickte überrascht auf.
»Hi, das soll ich unter der Tür durchschieben«, sagte er und gab Meriden den Brief. Der packte den Jungen am schäbigen T-Shirt. »He!« Der Bote hob die Hände. »Ich weiß nicht, was drin ist. Jemand hat mir auf der Straße fünfzig Dollar fürs Abliefern gegeben, okay?«
Meriden ließ ihn los, schob ihm einen Fünfdollarschein in die Hand, schloss die Tür, öffnete den Brief und zog ein paar dreizehn mal achtzehn Zentimeter große Fotos und einen Schnellhefter heraus. Die Bilderserie zeigte, wie ein groß gewachsener Mann ein großes, blasses Mädchen in die Küche führte und sich um ihre aufgeschürften Knie kümmerte. Die Kleidung der jungen Frau sah so aus, als wäre sie über schmutzigen Beton geschlittert. Meriden ging die Fotos durch und betrachtete sie genau. Wer das Mädchen auch sein mochte: Dansant war eindeutig an ihr interessiert. Auf einem Foto blickte er kniend zu ihr auf wie zu einem Engel.
Meriden kehrte zum Telefon zurück und setzte den Hörer wieder ans Ohr. »Sie haben wohl Spaß daran, durch Fenster zu spannen, alter Mann?«
King überging diese Beleidigung. »Dem Souschef zufolge, den Ihr Vermieter gestern Abend rausgeworfen hat, heißt sie Rowan Dietrich. Anscheinend hat Mr Dansant erst den von ihr angerichteten Schaden beglichen und sich dann um ihre Wunden gekümmert und sie in die Wohnung neben Ihnen einziehen lassen. Das war sehr nett von ihm.«
Der dumme Mistkerl
. »Weder er noch sie haben etwas mit mir zu tun, King. Ich wohne hier bloß.«
»Mag sein, dass Sie mit Miss Dietrich nichts verbindet, aber zwischen Ihnen und Jean-Marc Dansant sieht die Sache anders aus.« King seufzte nachdenklich. »Sie beide sind sich in Paris begegnet, haben zusammen ganz Europa bereist und sind dann in die Vereinigten Staaten gekommen. Er hat Ihnen bei der Finanzierung Ihrer Autowerkstatt geholfen, und Sie haben dafür den Umbau seines Restaurants geleitet. Keine Ahnung, wie Sie ihm zur amerikanischen Staatsbürgerschaft verholfen haben, aber er hat sie dreimal rascher erhalten als üblich.«
King hielt sie für Freunde. Meriden begann zu lachen.
»Halten Sie das für witzig?« Zum ersten Mal klang der Alte verärgert.
»Erschießen Sie Dansant ruhig«, sagte Meriden. »Damit tun Sie mir einen Gefallen.«
»Was ist mit Miss Dietrich?«
Er sah sich das Foto des böse zugerichteten Mädchens an. Was Dansant an Frauen aufgabelte, interessierte ihn nicht, doch etwas an ihren Augen zog ihm den Magen zusammen. »Die kenn ich nicht. Das ist sein Problem, nicht meins.«
»Nicht gerade die Worte eines geborenen Helden, Mr Meriden«, tadelte ihn King. »Rita Gonzalez wäre enttäuscht.«
Irgendwie musste er sein Handy abgehört haben. »Sie Dreckskerl.«
Der Alte kicherte. »Trotz ihrer reizenden Stimme musste ich erstaunt feststellen, dass Rita eine fette, unattraktive Promenadenmischung ist. Und natürlich zu jung, um allein drei Kinder großzuziehen, aber solche Leute pflanzen sich offenbar wahllos fort. Sie geht morgens fünfzehn Querstraßen zur Arbeit, um das Geld für die U-Bahn zu sparen. Ihre Mutter zieht schon vier Enkel in einer Einzimmerwohnung auf – da dürften drei Blagen mehr nicht sehr willkommen sein.«
Was King über Rita wusste, verriet, dass er Meriden schon länger hatte auskundschaften lassen. »Sie
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