Schleier der Traeume
vorgetäuschten Ende – zurückgezogen gelebt, und so war diese Geschichte nahezu plausibel. »Ist die Polizei in diese Inszenierung verwickelt – oder in das, was Sie erledigt haben wollen?« Wenn irgend möglich, vermied es Meriden, mit der Polizei von New York aneinanderzugeraten.
»Überhaupt nicht. Ich arbeite lieber mit Freiberuflern. Entschuldigen Sie bitte kurz.« Er redete etwa eine Minute mit jemand anderem, hatte dabei aber die Hand auf der Sprechmuschel, denn Meriden hörte seine gedämpfte Stimme, konnte aber nichts verstehen. Dann wandte sich King wieder an ihn: »Ich möchte, dass Sie meine Tochter Alana finden, Mr Meriden. Seit sie von zu Hause weggelaufen ist, habe ich sie nicht mehr gesehen, aber letzten Informationen zufolge wurde sie gestern in Manhattan gesichtet.«
Meriden fühlte sich seltsam erleichtert. »Tut mir leid, Mr King, aber ich übernehme keine Vermisstenfälle, sondern kümmere mich nur um Leute, die gegen Kaution freigekommen und abgetaucht sind oder ihre Bewährungsauflagen verletzen.«
»Wenn Sie Alana finden und nach Hause bringen, zahle ich Ihnen fünfhunderttausend Dollar«, sagte King, als hätte er ihn gar nicht gehört. »In bar, falls Sie das bevorzugen.«
Meriden rieb sich die Stirn. »Und wenn Sie mich mit Goldmünzen bezahlen, Sir, meine Antwort bleibt dieselbe: Ich suche keine Ausreißer.«
»Ich glaube, ich kann Sie überreden, Ihre Meinung zu ändern.«
Meriden sah auf die Uhr. Er hatte heute nur noch sieben Stunden übrig. »Ich glaube, es ist alles gesagt, Mr King.«
»Noch nicht«, erwiderte der Alte. »Würden Sie sich mal kurz umschauen?«
Erstaunt über diese Bitte, sah Meriden sich um und fuhr dann herum. Ein stämmiger Mann im Parka stand ein, zwei Meter hinter ihm, verschlang ein halb in fettigem Papier steckendes, mit geräuchertem Fleisch belegtes Sandwich und begegnete seinem Blick finster.
»Soll das noch ewig dauern?«, fragte der Dicke. »Ich frier mir hier den Arsch ab.«
»Und jetzt passen Sie auf«, sagte King durchs Telefon.
Es zischte, und der Mann vor der Telefonzelle fuhr zusammen, schlug die Linke an den Hinterkopf und bekam große Augen, während seine nun blutüberströmte Hand herabsank. Das halb gegessene Sandwich landete Sekundenbruchteile eher als seine Knie auf dem eisigen Gehsteig und verschwand unter dem massigen Leib, als der zu Boden ging und reglos liegen blieb.
Als eine Passantin stehen blieb und schrie, sah Meriden die saubere Schusswunde an der Schädelbasis des Mannes.
»Ich kann dafür sorgen, dass Ihnen dasselbe zustößt«, sagte King leise. »Jederzeit und überall. Und wie bei dem bedauernswerten Herrn auf dem Gehweg ohne Vorwarnung.«
»Gut.« Meriden hörte Sirenen nahen. »Was wollen Sie?«
»Wie gesagt: Sie sollen Alana finden –«
Als hinter der nächsten Straßenecke Blaulicht aufblitzte, legte Meriden auf und schlängelte sich durch die Menschentraube davon, die sich um den Toten bildete. Kurz vor Ankunft der Streifenwagen bog er aus seinem Parkplatz, nutzte die kurze Verkehrsstörung, um in einem Zug zu wenden, und entfernte sich vom Tatort.
Er bog mal da, mal dort ab und vergewisserte sich im Rückspiegel, dass niemand ihm folgte. Als er sich sicher fühlte, fuhr er direkt zur Autowerkstatt, stellte den Mustang an seinen Platz, stieg aufs Dach des Gebäudes und beobachtete eine Stunde lang die Straße.
Gerald King war verrückt – davon jedenfalls war Meriden überzeugt. Aber wenn er mit dieser Geschichte zur Polizei ginge, würden sie ihn als Verdächtigen inhaftieren oder in die Psychiatrie stecken. Das Letzte, was er gebrauchen konnte, war eine Nacht hinter schwedischen Gardinen oder in der Gummizelle. Er hörte das Telefon im Büro der Werkstatt klingeln, und sein Bauchgefühl sagte ihm, dass King anrief.
Meriden stieg die Feuerleiter an der Rückseite des Gebäudes hinunter, ging zu Fuß zum
D’Anges
, schloss auf und begab sich in seine Wohnung. Zum Glück besaß er kaum Habseligkeiten und konnte binnen Minuten packen. Dann sah er das Geld und die Nachricht auf dem Küchentisch.
Sie stammte von Dansant, und Meriden las sie fluchend. Das Bike in der Gasse gehörte der neuen Freundin des Küchenchefs, und er sollte es reparieren. Seine Lordschaft hatte sich mal wieder eines in Not geratenen Fräuleins angenommen. Na, diesmal würde Meriden sich des neuen Falls von Barmherzigkeit entziehen. Sie mussten sofort aus der Stadt verschwinden, bevor King sie ausfindig machte.
Meriden schloss
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