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Schleier der Traeume

Schleier der Traeume

Titel: Schleier der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Viehl
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»Überfallartiger Einzug, was?«
    Er war misstrauisch, doch sie waren schließlich in New York, und sie wohnte drei Meter von seiner Tür weg. »Ich hab nicht viel Zeug.« Obwohl sie seine Vorsicht verstand, fügte sie unwillkürlich im Stillen hinzu:
Bist du immer so ein Idiot?
    Er griff nach dem Schalter neben ihrem Kopf und machte Licht.
    Im Dunkeln hatte Meriden einem etwas distanzierten Football-Verteidiger geglichen: groß, aber irgendwie namenlos. Im Schein der Deckenlampe dagegen wirkte er wie ein schwer verärgerter Gladiator, der Footballspieler als Nachmittagssnack verspeiste und danach Mädchen wie Rowan als Zahnstocher benutzte.
    Ich habe jedes Recht, hier zu sein
, sagte sie sich und straffte die Schultern.
Das Haus gehört Dansant, nicht ihm
.
    Zum Glück war Meriden – anders als ihr neuer Chef – kein bisschen hübsch. Alles an ihm ließ sie an geschmiedetes Metall denken, vom weißblonden, ultrakurz geschnittenen Haar bis zu den rotgoldenen Stoppeln an Kinn und Kiefer. Die Sommerbräune war noch nicht völlig von seiner hellen Haut verschwunden, doch mit winterbleicher Haut würde er wohl ebenso unheimlich wirken. Das Leben oder das Schicksal hatte viele Dellen und scharfe Kanten in seine Züge gehämmert und geschlagen und ihm ein ungehobeltes Aussehen verliehen, das in weniger zivilisierte Epochen zu gehören schien. Und er hätte sicher einen großartigen Gladiator abgegeben. Unter schräg stehenden Brauen beobachtete er sie aus dunklen, entnervend reglosen Augen.
    Im Angesicht des Todes
, überlegte Rowan,
würde er niemanden grüßen, sondern sich sofort daran machen, den Erstbesten in Stücke zu hacken
.
    Meridens weißes T-Shirt spannte über der Brust, denn Standardgrößen waren für seinen olympischen Oberkörper viel zu klein. Nicht dass er Bodybuilder-Nahrung zu sich genommen hatte: Er war dem Hemd einfach entwachsen, indem er Lage für Lage heldenhafte Prachtmuskeln angesetzt hatte, die in eine Arena gehörten, in der Barbaren abgeschlachtet und Tiger niedergerungen wurden.
    Durch das Zusammenleben mit Matthias hatte Rowan sich an die Gegenwart eines körperlich bestens ausgestatteten Mannes gewöhnt. Matt hatte nur beibehalten, was lebenslange Erfahrung im Gefecht geformt hatte, doch genau das war für sie zum Standard geworden, zum inneren Gradmesser, an dem sie alle Männer maß und als ungenügend verwarf.
    Ihr Nachbar war nicht Matthias. Er war größer, breiter, härter und – sofern all die rohe Muskelkraft keine falschen Versprechungen weckte – mindestens so stark wie ihr alter Freund.
    »Genug gesehen?«, fragte er. »Oder soll ich noch die Hose runterlassen?«
    Rowan hätte ihn ähnlich verletzend anfahren sollen, aber sie hatte ihn schließlich angestarrt wie ein liebestolles junges Mädchen. Nun warf sie einen raschen Blick auf seine verblichene Jeans, auf der beeindruckend viele Flecken und Spritzer prangten. Die Säume waren ausgefranst, und ein Stück über dem linken Knie verlief ein waagrechter Riss.
    »Ich weiß nicht«, erwiderte sie ehrlich und sah ihm dabei in die dunklen Augen, »ob mein Herz mehr verträgt.«
    Er lachte nicht. Ein solches Prachtexemplar rüder Männlichkeit in ihrer intensivsten Form besaß natürlich nie Sinn für Humor. Sonst gäbe es ja einen Gott, und dieser Gott würde es gut mit ihr meinen.
    »Hören Sie, ich hatte gestern in der Gasse hier einen Unfall«, sagte sie schnell. »Mein Motorrad braucht neue Reifen und muss repariert werden. Dansant hat mir erzählt, Sie sind Mechaniker. Vielleicht können Sie sich den Schaden ansehen und mir einen Kostenvoranschlag machen?«
    So wie er auf sie hinunterblickte, vermutete sie schon, dass er ablehnen würde, doch er überraschte sie erneut. »Ich habe was anderes zu tun. Das muss bis nächste Woche warten.«
    Sie nickte und war erleichtert, etwas Zeit zu haben, um ihre Barschaft zu vergrößern. »Sind Sie damit einverstanden, dass ich Ihnen die Reparaturen zahle?«
    »Sprechen Sie mit Dansant.«
    »Ich könnte Ihnen ungefähr hundert –«
    Er schüttelte den Kopf. »Er bezahlt mich, Sie bezahlen ihn.«
    Rowan ließ das auf sich beruhen. »Gut. Dann müssen wir nur noch die Badbenutzung regeln.« Sie wies auf die Tür zwischen ihren Wohnungen. »Haben Sie feste Zeiten, zu denen Sie sich duschen und rasieren und so?« Er antwortete nicht. »Ich würde gern nach meiner Schicht ins Bad, ungefähr nachts um zwei – und wenn ich morgens aufstehe, also vermutlich so zwischen zehn und elf Uhr.

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