Schleier der Traeume
es.
Eine Stunde vor dem Öffnen kam Rowan zum Restaurant zurück und trug ihre Einkäufe nach oben, um sie einzuräumen. Neben den Büchern hatte sie Müsli, Milch, Eier, Bananen, Mehrkornbrot und ein großes Glas Erdnussbutter besorgt. Auch hatte sie nahrhafte und eiweißreiche Knusperriegel entdeckt, die nicht so nach künstlichen Vitaminen schmeckten und ihr in der Arbeitspause sicher gelegen kämen.
Die Erdnussbutter lasse ich Dansant besser nicht sehen – sonst wirft er mich noch raus
.
Sie duschte, zog sich um und sah sich die Abendnachrichten an, bis ihr die Augen zufielen, also fünf Minuten. Nach Mitternacht erwachte sie, als in einer Dauerwerbesendung gerade Gemüseschäler angepriesen wurden, und schaltete den Fernseher aus. Ihr Magen überredete sie zu einer Banane vor dem Schlafengehen, und dann wollte er noch ein Brot mit Erdnussbutter. Als Rowan ihren Hunger endlich gestillt hatte, war sie hellwach.
Das habe ich davon, nachts zu arbeiten
.
Sie fing eins ihrer neuen Bücher an, eine Untersuchung über Blutrituale in den alten Hochkulturen Südamerikas. Der Verfasser, ein Anthropologe, der einige Jahre an diversen archäologischen Grabungen teilgenommen hatte, hatte eine Reihe ungewöhnlicher Schnitzereien an einem alten Tempel fotografiert, die darauf hinzudeuten schienen, dass in einer dieser Kulturen zu der Zeit, da die Europäer in der Neuen Welt ankamen, erstmals Vampirismus aufgetreten war. Rowan wollte sich konzentrieren, doch selbst die grausige Beschreibung, wie die Hohepriester einst Blut aus noch schlagenden Herzen tranken, nachdem sie den Brustkorb ihrer lebenden Opfer geöffnet hatten, konnte sie nicht bei der Stange halten.
Schließlich schlug sie das Buch zu und schob es weg. Meriden hatte ihr wirklich den Kopf verdreht – sinnlos, das zu leugnen.
Was hat ihn an meinen Worten nur so verärgert?
Es musste mit ihrer Bemerkung zu tun gehabt haben, er würde ganz schön voranpreschen. Vielleicht hatte er erwartet, sie würde stattdessen über ihn herfallen? Sie hatte einen Großteil des Tages mit ihm verbracht, und er war für sie noch immer ein totales Rätsel.
Sie hörte Schritte die Treppe hochkommen, stand auf und schlich zum Horchen an die Tür. Schlüssel klimperten, ein Schloss bewegte sich, und die Tür gegenüber ging auf und wieder zu.
Er war nun also daheim. Sie öffnete die Tür, sah ins Treppenhaus und stellte fest, dass die Küche dunkel und verlassen war. Alle waren gegangen, und nur sie und ihr unfreundlicher Nachbar waren im Haus.
Er ist wahrscheinlich müde
, dachte sie beim Betrachten seiner Tür.
Er will sicher duschen und ins Bett gehen, und ich sollte ihn nicht aufhalten. Was im Park geschehen ist, ist sein Problem, nicht meins
.
Schon wieder behandelte sie ihn wie ein rohes Ei, diesmal in Gedanken.
Rowan trat auf den Treppenabsatz, und kaum hatte sie ihre Tür geschlossen, öffnete sich die von Meriden. Er kam nicht heraus, sondern stützte einen Arm gegen den Türrahmen und sah sie an.
Hätte er ein Schild um den Hals getragen, hätte vermutlich darauf gestanden:
Die ihr mir blöd kommt, lasst alle Hoffnung fahren
.
»Das SEK ist alarmiert«, sagte sie beiläufig, »aber es ist vermutlich im Theaterviertel in einen Stau geraten.«
Er wandte sich ab und ging wieder in seine Wohnung, machte sich aber nicht die Mühe, seine Tür zu schließen, und Rowan betrachtete das als Einladung, ihm zu folgen.
Meridens Apartment war etwas größer als ihres, doch sie hatte den besseren Blick. Nach der Einrichtung zu schließen, die teils spartanisch war, teils an Überbleibsel einer Werkstatt erinnerte, hatte ihm ein Pionierkorps die Wohnung dekoriert. Aber die Oberflächen waren sauber und aufgeräumt, und alles war so ordentlich wie in seiner Werkstatt.
Er beobachtete sie beim Mustern seines Apartments. »Na, Neugier gestillt?«
»Vollkommen.« Ihrer Lügen wegen würde sie noch in der Hölle schmoren. »Gerade von der Arbeit zurück?«
»Ja.« Er öffnete den Kühlschrank, nahm zwei Bier raus und gab ihr eins. »Hinsetzen.«
Sie konnte zwischen der Couch, die ihr allzu bequem erschien, und einem Zweiersofa wählen, das sie ganz und gar nicht ausprobieren wollte. Also zog sie einen Stuhl, der aussah wie aus einer Jagdhütte gestohlen, vom Esstisch, drehte ihn herum und ließ sich mit gespreizten Beinen auf dem rot-schwarz karierten Kissen nieder.
Meriden blieb stehen, lehnte diesmal aber mit dem Rücken am Küchentresen.
Er würde sie kaum rauswerfen, bevor
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