Schleier der Traeume
stiegen vor dem Lincoln Center aus, und Dansant bot ihr beim Eintreten seinen Arm. Er genoss die großäugige Aufmerksamkeit, mit der sie alles musterte – von den enorm ausladenden Kronleuchtern bis zu den extravagant gekleideten Männern und Frauen, die zur Vorstellung gekommen waren.
»Ich habe ganz vergessen, Sie zu fragen, welche Oper wir sehen«, sagte sie etwas atemlos, als er sie durch die Menge führte.
»
Madame Butterfly
«, erwiderte er. »Kennen Sie die?«
»Nein.« Sie warf rasch einen Blick auf ihr Programm. »Ist die aus Japan?«
»Die Geschichte spielt dort«, gab er zurück, »und die Hauptfigur, Cho-Cho-San, ist eine Japanerin, die sich in einen Amerikaner verliebt. Aber gesungen wird italienisch.«
»Warum das?«
»Operntexte werden nicht übersetzt«, antwortete er. »Und Puccini, der Komponist, war Italiener.«
»Gut.« Sie straffte die Schultern. »Dann mal ran an die Schmetterlinge.«
Dansant verkniff sich ein Kichern, führte sie zu ihren Plätzen und zeigte ihr den Screen in der Rückenlehne des Vordersitzes, auf dem während der Aufführung synchron die englische Übersetzung des Textes erschien. Kurz darauf hob sich der schwere goldene Vorhang, und die Aufführung begann.
Da er Puccinis herzzerreißende Oper schon zahllose Male gesehen hatte, wandte Dansant seine Aufmerksamkeit gleich nach dem Erlöschen der Saalbeleuchtung Rowan zu. Hingegeben folgte sie der Vorstellung, sah ab und an rasch auf die Übersetzung und konzentrierte sich gleich wieder auf das Bühnengeschehen. In der Pause stellte sie ihm ein Dutzend Fragen, die er so entzückend fand wie ihre Reaktion auf seine Erklärungen.
»Pinkerton verschwindet einfach und lässt Butterfly mit dem Baby zurück?« Rowan runzelte die Stirn. »Wie kann er das tun, wenn er von ihrer Schwangerschaft weiß?«
»Er weiß es ja noch nicht«, erwiderte Dansant.
»Das glaube ich nicht.« Sie verschränkte die Arme. »Sie ist umwerfend, sie ist in ihn verliebt, und sie hat alles für ihn aufgegeben – und er verlässt sie? Einfach so? Was für ein Schwachkopf.«
Ihr Zorn amüsierte ihn. »Es ist eine Tragödie, Rowan, kein Liebesroman.«
»Na klasse.« Sie seufzte. »Am Schluss werde ich weinen, oder?«
Er nahm ihre Hand. »Ich werde Sie trösten.«
Sie musterte ihn von der Seite, doch schon erlosch die Saalbeleuchtung wieder, und die Vorstellung ging weiter.
Gegen Ende der Oper spürte Dansant die Veränderung in ihr, als die Sopranistin, die Cho-Cho-San spielte, die verhängnisvolle Entscheidung traf, zum Schwert des Vaters zu greifen. Rowan wurde ganz starr, als die Sängerin mit der Waffe auf ihren kleinen Sohn zukam.
»Wird sie ihn umbringen?«, flüsterte sie empört.
Dansant wollte schon einen Witz machen, sah dann aber ihren Blick. »Nein,
ma mûre
. Der Junge überlebt.«
Kaum war die Oper an ihr trauriges Ende gekommen, entzog Rowan ihm die Hand und stand auf.
»Ich muss hier raus.« Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern eilte in den Gang und Richtung Foyer.
Dansant folgte ihr, verlor sie aber aus den Augen, als das Publikum sich allerorten zum Gehen erhob. Ungeduldig drängte er sich durch die Menge ins Foyer, wo er jede Frau in Schwarz ansah, Rowan aber nicht entdecken konnte.
»Michael?«
Dansant drehte sich um, und schon hatte er eine kleine, kastanienbraune Schönheit mit atemberaubendem, saphirblauem Kleid im Arm. Sie schlang ihm die Arme um den Hals, und ihr wunderschöner, lächelnder Mund war nur Zentimeter von seinen Lippen entfernt, als sie erstarrte.
Ihr zarter Lavendelduft berauschte ihn und ließ ihn tief in ihre glänzenden braunen Augen sehen. »Leider bin ich nicht Ihr Michael, Madam.« Er legte ihr die Hände auf die Unterarme und spürte, wie zart ihre feine, karamellfarbene Haut war. »Aber ich finde, er darf sich glücklich schätzen.«
»Gute Güte!« Sie blinzelte zweimal und lachte dann los. »Nicht zu glauben!« Sie musterte sein Gesicht. »Sie könnten sein Zwillingsbruder sein.« Ihr Blick glitt zu seiner Stirn hinauf. »Von den Haaren abgesehen.« Als ob ihr nun erst klar wurde, was sie getan hatte, ließ sie ihn behutsam los und trat einen Schritt zurück. »Bitte verzeihen Sie. Ich dachte wirklich, Sie wären … wie heißen Sie?«
»Jean-Marc.
Enchanté
.« Er schaute in der Erwartung, Rowan endlich zu entdecken, an ihr vorbei. »Haben Sie eine große, dunkelhaarige Frau in schwarzem Samtkleid mit Spitzen gesehen?«
»Zaundürr und mit süßem Hut?« Die Frau zeigte auf
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