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Schleier der Traeume

Schleier der Traeume

Titel: Schleier der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Viehl
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einen Ausgang. »Die ist sehr schnell da raus.« Als er nickte und sich an ihr vorbeidrängen wollte, legte sie ihm die Hand auf den Arm. »Verzeihung, ich will Sie nicht aufhalten, aber haben Sie Verwandtschaft in Frankreich? Vielleicht mit einer Familie Cyprien?«
    »Nein,
Madame. Ich habe keine Familie, sondern war ein
enfant trouvé
.« Er gab ihr einen Handkuss. »Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte. Ich muss meine Freundin suchen.« Er hielt auf den Hinterausgang zu.
    Mit gemischten Gefühlen sah Dr. Alexandra Keller den Mann das Opernhaus verlassen. Sie hatte das Gefühl, gerade einen furchtbaren Fehler gemacht zu haben – und das nicht, weil sie einen wildfremden Menschen hatte küssen wollen.
    Egal, wer er war – Jean-Marc bewegte sich rasch und war schon im nächsten Moment verschwunden, also fast so schnell wie ein Darkyn. Aber trotz der unheimlichen Ähnlichkeit mit ihrem Geliebten hatte dieser Jean-Marc einen ganz anderen Gang als Michael Cyprien, und das Blau seiner Augen war – wie ihr nun bewusst wurde – viel heller gewesen.
    Michael Cyprien trat neben sie. »
Chérie
– alles in Ordnung?«
    Unwillkürlich ergriff sie seine Hand und schüttelte den Kopf. »Das war sehr merkwürdig.« Sie warf ihm einen kurzen Blick zu und war etwas verlegen. »Ich habe gerade einen fremden Mann umarmt und wollte ihn küssen.«
    »Ach?« Seine Stimme wurde ein paar Grad kälter. »Aus einem besonderen Grund?«
    »Ich habe ihn mit dir verwechselt.« Sie wandte sich ihm zu. »Michael, er sah aus wie du. Er hatte die gleiche Größe, die gleichen Gesichtszüge, die gleichen blauen Augen … alles war gleich.«
    »Angeblich hat jeder von uns irgendwo einen Zwilling.« Er legte den Arm um sie. »Komm. Philippe wartet.«
    Auf der Rückfahrt zu ihrer Suite im Hilton grübelte Alexandra über die seltsame Begegnung in der Met nach. Sie konnte sich genau an Jean-Marcs Züge erinnern, und etwas an ihnen setzte ihr zu. Sie war so gedankenverloren, dass Michael sie dreimal mit ihrem Namen ansprechen musste, bevor sie reagierte.
    »Entschuldige, was war?«
    »Ich fragte, ob dir die Aufführung gefallen hat.«
    »Angeödet hat sie mich«, gab Alexandra zu. »Pinkerton ist ein Trottel, aber die Akustik ist umwerfend. Dafür stank die fette Kuh vor uns im fuchsienfarbenen Kleid nach Schinkenspeck. Den hatte sie vermutlich in der Handtasche. Michael, bist du dir wirklich sicher, der einzig überlebende Cyprien zu sein?«
    »Das letzte Mitglied meiner menschlichen Familie starb kinderlos im achtzehnten Jahrhundert.« Er strich ihr über die Wange. »Es stört mich nicht, dass du einen anderen Mann küssen wolltest. Stören würde mich nur, wenn es dir gelänge.«
    »Und falls du ein Kind hast, von dem du nichts weißt? Oder falls sich ein anderes Familienmitglied fortgepflanzt hat?«, fragte sie beharrlich. »Das war doch recht verbreitet damals, oder? Man trifft eine hübsche Melkerin, geht mit ihr ins Heu und zieht seiner Wege, und neun Monate später wird ein Baby mit blauen Augen geboren, und alle denken, es ist von ihrem Mann oder so.«
    »Alexandra, ich war Tempelritter«, erinnerte er sie. »Wir haben uns nicht mit Milchmädchen im Heu gewälzt. Wir waren vollauf damit beschäftigt, Sarazenen abzuschlachten.«
    »Aber nicht alle in deiner Familie haben damals für Gott gearbeitet.« Sie musterte sein Gesicht. »Ich weiß nicht, wie, aber ich schwöre: Dieser Mann ist mit dir verwandt.«
    »Weil wir die gleiche Haarfarbe haben? Die gleiche Statur? So gern ich einzigartig wäre,
Chérie
, so bewusst ist mir, dass ich es nicht bin. Vermutlich sehe ich vielen Menschen ähnlich.«
    »Du verstehst mich nicht. Der Kerl war einfach zu perfekt. Wie eine Kopie. Er sah nicht nur so aus wie du. Er
war
du.« Sie setzte sich auf. »Ach, Mist. Philippe«, rief sie Cypriens Seneschall zu. »Wenden Sie bitte und fahren Sie zurück zum Lincoln Center.«
    Philippe sah in den Rückspiegel und wechselte, als Cyprien nickte, auf die Linksabbiegerspur.
    »Unwahrscheinlich, dass er noch dort ist,
Chérie
«, sagte Michael.
    »Vielleicht haben wir Glück.« Sie umklammerte die Kante ihres Sitzes und beobachtete durch die Windschutzscheibe die Autos, die den Weg versperrten. »Na los, fahrt schon!«
    Es dauerte einige Zeit, aber schließlich langten sie wieder an der Met an. Kaum hatte Philippe am Straßenrand gehalten, sprang Alexandra aus dem Wagen und eilte auf die rundbogigen Fenster auf der Vorderseite des Opernhauses zu. Noch immer kamen

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