Schleier des Herzens (German Edition)
reite die Nacht durch. Die Sache muss schnell ein Ende haben.«
Amir nickte, wenn auch nicht mit der Begeisterung, die er sonst an den Tag legte, wenn sein Vater ihn mit der Verteidigung Granadas betraute. Schließlich brachen seine Bedenken doch aus ihm hervor.
»Vater, die Versteigerung ... Das Mädchen ...«
Der Emir verdrehte die Augen. »Du wirst sie schon nicht verpassen«, beschied er. »Schließlich kann es kaum mehr als drei oder vier Tage dauern, diesem Aguirre das Mütchen zu kühlen!«
Der Emir sah seinem Sohn lange nach, nachdem Amir sich höflich verabschiedet hatte, dann jedoch eilig davon ging. Er hatte alle Gründe der Welt, seine Streitmacht schnellstens in Marsch zu setzen.
Abdallah der Erste seufzte. Er liebte seinen Sohn, und er hasste das, was er jetzt zu tun hatte. Aber dann rief er doch einen Diener zu sich und ließ sich Feder und Papier bringen.
Eine Stunde später hielt Abraham ibn Saul eine Nachricht des Emirs in Händen:
Es ist mir zu Ohren gekommen, dass du eine christliche Sklavin feilbietest. Leider sorgt das Mädchen für Unruhe. Ich würde begrüßen, wenn ihre Versteigerung so schnell wie möglich stattfände. Zudem bitte ich dabei um Diskretion. Niemand – auch kein Mitglied der königlichen Familie – soll von ihrem Verbleib erfahren.
Die Sklavin Ayesha war in Hochstimmung und ließ Beatriz daran teilhaben. Der Wesir hatte ihr Lautenspiel und ihre Schönheit in den höchsten Tönen gelobt. Seine Verhandlungen mit Ibn Saul waren noch nicht abgeschlossen,aber er beabsichtigte eindeutig, Ayesha zu erwerben und dem Emir zum Jahrestag seiner Inthronisation als Geschenk zu überreichen. Das Mädchen schwärmte vom Harem der Alhambra und all den Künstlern und Musikern, mit denen sie dort unweigerlich zusammentreffen würde. Vergnügt schwatzend knabberte sie Gebäck und nippte an den süßen, mit Eis aus der Sierra Nevada gekühlten Fruchtsäften, welche die Diener ihnen kredenzten. Beatriz fand es immer noch höchst befremdlich, dass praktisch das gesamte Personal aus weichlich wirkenden Eunuchen mit schwammigen Körpern und hohen Stimmen bestand. Sie benahmen sich aber durchweg äußerst zuvorkommend, und die Leckereien aus Datteln, Honig und Krokant waren köstlich. Dennoch hielt Beatriz sich zurück. Ibn Saul hatte geäußert, sie solle vor der Auktion noch Gewicht zulegen, und sie hatte keineswegs vor, sich mästen zu lassen.
»Hat man dir deshalb Spanisch beigebracht? Damit du mit allen Besuchern reden kannst?«, unterbrach Beatriz Ayeshas Träumereien ein wenig mürrisch. Ihr ging der gierige Blick des alten Mannes immer noch nicht aus dem Kopf. Wie er langsam an ihrem Körper herabgewandert war, ihre Brüste und Hüften taxiert hatte ... Beatriz hatte den Ekel kaum bezähmen können, als sich die Augen Mammar ibn Khadiz’ schließlich an dem winzigen bisschen Haut festgesaugt hatten, das die Pluderhosen an ihren Fußgelenken unbedeckt ließen. Sein Mund hatte dabei gezuckt, als wollte er sabbern, und seine Hände schienen die Rundungen ihrer Schenkel und Brüste hilflos in der Luft nachzuzeichnen. Beatriz fühlte sich beschmutzt, fast als hätte man dem Greis erlaubt, ihren Körper wirklich zu berühren und mit feuchten Fingern und Lippen zu erkunden. In Kastilien hätte ein Mann nie gewagt, eine Hídalga so anzustarren! Aber hier war sie keinMädchen von Adel, hier war sie nur eine Sklavin. Und Ibn Saul hatte den alten Mann ernstlich ermuntert, mit um sie zu bieten!
Wo nur war ihr junger Entführer? Warum kam er nicht, um sie zu beruhigen und vielleicht auszulösen? Wo blieb die Nachricht von ihrem Vater? Beatriz war bis zum Platzen angespannt. Aber sie wollte jetzt auf keinen Fall in Tränen ausbrechen. Lieber versuchte sie sich in unverfänglichem Geplauder mit ihrer vergnügten Gefährtin.
Ayesha hatte nach ihrem Treffen mit dem Wesir Schmuck und Schleier abgelegt, die Schminke abgewischt und ihr Haar gelöst. Sie räkelte sich zufrieden auf einem weichen Diwan und knabberte Naschwerk.
Beatriz betrachtete sie misstrauisch. Undenkbar, dass sich ein wohlerzogenes Mädchen in kastilianischer Gesellschaft so ungeniert voll gestopft hätte wie Ayesha. Das hätte ja schon das Korsett verhindert. Beatriz musste sich eingestehen, dass es sich ohne den Fischbeinpanzer erheblich bequemer lebte. Der Schleier war dagegen harmlos. Zudem trug man ihn offensichtlich nur in der Öffentlichkeit.
Im Harem, so begriff Beatriz langsam, waren die Frauen unter sich, keine musste
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