Schleier des Herzens (German Edition)
nicht mit einem so wohlgeformten Körper gesegnet wie du. Wenn ein Mädchen wie ich erst mal keine Jungfrau mehr ist, verliert der Herr meist schnell die Lust an ihr. Bei dir ist das anders. Du könntest sogar zur Ehefrau aufsteigen, wenn du es geschickt anstellst. Sieh zu, dass du deinem Herrn bald einen Sohn schenkst. Bist du mit den Künsten der Liebe vertraut?«
Beatriz errötete zum etwa hundertsten Mal an diesem Abend.
»Du ... sprichst davon, als wäre es etwas, das man in der Schule lernt ...«
Ayesha nickte. »Genau das ist es. Ein Mädchen, das im Harem aufwächst, wird meist von seiner Mutter oder ihren Freundinnen in die wichtigsten Künste eingeweiht. Aber es gibt auch richtige Schulen wie das Haus meiner Ziehmutter Khalida. Ihre Absolventinnen sind natürlich hoch begehrt. Nur die Allerreichsten können sich ein Mädchen von Khalida leisten – nur selten kauft uns jemand für den eigenen Harem, meist werden wir wichtigen Geschäftspartnern und Freunden zum Geschenk gemacht.«
Ayesha sprach von sich, als redete sie von einem edlen Pferd. Dabei wählte sie immer noch Schmuckstücke aus. Inzwischen war der Eunuch eingetreten. Er brachte mehrere Kleidungsstücke und legte sie Ayesha zur Ansicht vor. Die beiden unterhielten sich lang und breit, ob ein orangerotes Überkleid ihre Schönheit betonen oder eher davon ablenken würde. Der Eunuch riet offensichtlich zu dem Farbton, Ayesha war skeptisch. Schließlich einigtensie sich auf ein zartgrünes Übergewand, aber orangerote Seidenhosen.
»Viele von uns steigen auch zur Ehefrau auf«, erzählte Ayesha weiter, während ihre Zofen ihr in die Kleider halfen.
Beatriz erschauerte inzwischen unter dem seltsam kitzelnden Gefühl des winzigen Pinsels, mit dem Mariam ihre Hände bemalte. Peri war immer noch mit ihrem Haar beschäftigt, das sie ähnlich kunstvoll aufsteckte wie Ayeshas.
»Und die anderen?«, fragte Beatriz nervös. »Was sind die anderen Mädchen im Harem? Huren, Konkubinen? Muss ich damit rechnen, dass mein – Herr – mich plötzlich verschenkt oder einem Gast als Willkommensgruß anbietet?«
Ayesha schüttelte den Kopf. »Kaum. Dafür bist du zu wertvoll. Vor allem aber wird er dich niemals zu etwas zwingen. Er darf dich nicht einmal zwingen, ihm selbst zu Willen zu sein, das verbietet der Koran. Freilich kann er dich unter Druck setzen. Aber das ist eher die Ausnahme. Wer ein Mädchen deiner Qualität erwirbt, will es erobern, nicht erpressen. Zier dich am Anfang also ruhig ein bisschen, lass dich mit Geschenken und Gunstbeweisen überschütten ... nur übertreib es nicht! Mach ihn nicht ernstlich ärgerlich ... Und versuch es nicht mit Druck. ›Ich schlafe nur mit dir, wenn du mich zur Ehefrau nimmst‹ hat noch nie funktioniert.«
»Ich werde überhaupt mit niemandem schlafen, und ich werde auch niemanden heiraten! Ich habe meinem Verlobten Treue geschworen«, brach es aus Beatriz heraus.
Ayesha sah sie mitleidig an. »Kind, wenn er dich wirklich liebt, wird er dich auslösen. Aber das ist unwahrscheinlich. Und das bedeutet, dass du ihn nie wieder siehst. Vergiss ihn, Kleines. Dein Leben beginnt heute. Vergiss alles, was gestern war.«
»Diego ist tot«, flüsterte Beatriz und kämpfte mit den Tränen.
»Dann hat es sich ja sowieso erledigt«, meinte Ayesha herzlos. Sie war jetzt fast fertig, die Zofen befestigten nur noch einen hauchdünnen grünen und dann einen fast noch filigraneren orangefarbenen Schleier vor ihrem Gesicht. Sie sah hinreißend aus.
Der riesige Eunuch, der sie beim Ankleiden wohlgefällig betrachtet hatte, schien das ebenfalls zu finden und überschüttete sie mit Schmeicheleien. Ayesha lächelte nervös.
»Wünsch mir Glück!«, sagte sie zu Beatriz, während sie hinausrauschte.
Beatriz schüttelte den Kopf. Welch ein seltsames Geschöpf! Immerhin hatte sie jetzt wieder Zeit, sich ihrer eigenen Erscheinung im Spiegel zu widmen. Widerstrebend musste sie zugeben, dass die maurische Mode ihre Reize weitaus mehr unterstrich als die gewohnte kastilianische Kleidung. Der riesige Eunuch hatte für sie ein dunkelblaues Obergewand und aquamarinblaue Hosen ausgewählt, dazu dunkelblaue, mit Perlen bestickte Seidenpantoffeln. Es war ungewohnt, sich ohne Korsett im Spiegel zu sehen, aber zu ihrer Verwunderung fand Beatriz ihre Taille gar nicht so dick. Im Gegenteil, ihre Rundungen – recht gut zu erahnen unter den dünnen, fließenden Chiffon- und Seidenstoffen – wirkten durchaus harmonisch. Peri knüpfte Schleier
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