Schleier des Herzens (German Edition)
sich verstellen, um den Höflichkeitsregeln zu entsprechen oder irgendwelchen Männern zu gefallen.
Ayesha wirkte belustigt, als sie Beatriz’ Frage nach ihren Sprachkenntnissen vernahm. »Bei Allah, Kindchen, mit welchem Kastilier sollte ich schon über Kunst und Musik reden! Die meisten Christen können doch nicht mal Lesen und Sehreiben! Nein, wir lernen Eure Sprache, weil es immerhin sein kann, dass es uns zu einem spanischen Herrn verschlägt – Allah möge alle meine Schwestern davor bewahren!«
»Eure Ziehmutter verkauft Mädchen nach Kastilien?«,fragte Beatriz verwirrt und schöpfte leise Hoffnung. Wenn hier wirklich spanische Ritter Sklavinnen erwarben – vielleicht würde ja auch einer von ihnen um sie steigern! Wenn sie ihm dann später sagte, dass sie eine Hídalga sei, eine freie Frau, so würde er ihr zweifellos ehrenhaftes Geleit nach Kastilien gewähren. Ihr Vater könnte ihm anschließend den Kaufpreis zweifach zurückerstatten – wenn er das wollte. Aber ein echter Kavalier würde eine Frau sicher auch ohne Gewinnstreben retten ...
Ayesha aber machte ihr diesen Tagtraum jedoch sogleich wieder zunichte.
»Nein, direkte Verkäufe nach Spanien sind selten. Es mag welche geben, aber dann tritt der Herr nicht selbst auf, sondern schickt einen maurischen Strohmann vor. Es werden aber oft Mädchen als erlesene Geschenke versandt, nicht immer ohne Hintergedanken. Ein christlicher Bischoff, der eine Liebessklavin als Geschenk annimmt, wird erpressbar ... Für das Mädchen ist so etwas natürlich ein schreckliches Schicksal. Immer versteckt leben, dazu als einzige Konkubine eines in Liebesdingen unerfahrenen Herrn ...« Ayesha schüttelte sich.
»Und all die anderen Disziplinen?« Beatriz nahm nun doch ein Stück Konfekt. »Lateinisch, Griechisch, Lesen und Schreiben ... Wozu lernt ihr die?« Inzwischen war sie neugierig geworden. Ayeshas Geschichten lenkten sie von den Grübeleien über ihre eigene Zukunft ab.
»Nun, von einem Mädchen aus Khalidas Haus erwartet man eine gewisse Bildung. Wir sollen unsere Herren nicht nur bei Nacht unterhalten können, sondern ihnen auch bei Tag eine kluge und anregende Gefährtin sein. Damit steigen die Chancen, irgendwann zur Gemahlin erhoben zu werden. Im letzten Jahr wurde diese Ehre zwei meiner Freundinnen zuteil. Beide haben ihren Herren Söhne geschenkt,und eines der Kinder ist sogar sein Erstgeborener!« Ayesha schien sich ehrlich mit den beiden Mädchen zu freuen. Ihr selbst war allerdings mehr an ihrer Musik gelegen als an der Ehe.
»Also heiratet der Mann eine Sklavin, wenn sie von ihm schwanger wird?«, erkundigte sich Beatriz. »Aber dann ... wenn es wahr ist, was du sagst, dass zum Beispiel der Emir mehr als zweihundert Mädchen in seinem Harem hat und mitunter die Nacht mit ihnen verbringt – dann kann doch theoretisch jede schwanger werden! Und schließlich hätte er hunderte von Ehefrauen!«
Ayesha lachte bei der Überlegung. »So viele werden gar nicht schwanger. Eben weil der Herr mal der einen, mal der anderen seine Gunst schenkt. Das ist nicht wie bei den Christen, wo nur eine arme Frau die ganze Last hat und mitunter jedes Jahr ein Kind unter dem Herzen trägt! Und wenn doch, so ist das Kind der Sklavin natürlich anerkanntes Mitglied des Haushalts, erhält eine Ausbildung und wird – so es ein Mädchen ist – später ehrenhaft verheiratet. Aber die Kinder der Ehefrauen haben eine Vorzugsstellung. Und Ehefrauen gibt es natürlich nicht hunderte, sondern allenfalls vier. So viele erlaubt der Koran.«
Beatriz überlegte und musste beinahe lachen. »Hunderte von Mädchen, die sich um vier Hauptpreise bewerben. Bei Gott, die Konkurrenz muss schrecklich sein.«
Ayesha nickte ernst. »In manchen Harems ist sie das. Obwohl es sich nicht ganz so darstellt, wie du meinst. Zum Beispiel schöpfen nur die wenigsten Männer das ganze Kontingent aus. Kaum einer hat wirklich vier Gemahlinnen. Mein früherer Herr hatte nur eine, üblich sind zwei: Die erste Ehe wird von der Familie arrangiert. Der Mann holt eine gesellschaftlich gleichgestellte Frau in sein Haus, die er vorher meist nicht einmal gesehen hat.Das kann Liebe werden, muss es aber nicht. Wenn sich keine Gemeinsamkeiten finden, erhebt der Mann später eine oder zwei Mädchen aus seinem Harem zu Ehefrauen. Und wenn er klug ist, nimmt er Freundinnen seiner ersten Gemahlin. Tut er das nicht, und die beiden Frauen sind sich womöglich spinnefeind, kann die Eifersucht mörderische Formen
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