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Schleier und Schwert

Schleier und Schwert

Titel: Schleier und Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: brisbin
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nicht bereit, einem Mann gegenüber, der gerade noch einer Hure in den Ausschnitt geglotzt hatte, auch nur irgendetwas zu gestehen.
    Sie schleuderte noch einen ihrer Kieselsteine ins Wasser und glitt von dem Felsen. Dann klopfte sie sich den Schmutz von ihrem Habit und ging hinunter ans Ufer des dahinschießenden Stroms. Vielleicht irrte sie sich, doch das Wasser erschien ihr ziemlich flach. Aber der Mond schien nicht hell genug, um es genau erkennen zu können. Schritte hinter ihr verrieten, dass Rurik ihr folgte.
    „Fühlt Ihr jetzt vielleicht das Bedürfnis, noch einmal zu stolpern?“, fragte er. Seine Stimme erklang direkt hinter ihrer linken Schulter. Sie hatte geglaubt, er sei weiter weg.
    Margriet ließ die restlichen Steine aus ihrer Hand kullern und seufzte. „Heute Nacht ist es kälter.“
    „Aha, dann stolpert Ihr also nur, wenn es heiß ist?“
    Seine Worte waren wie eine Liebkosung. Langsam und sanft umschmeichelten sie Margriet und lullten sie ein, sodass ihre Wachsamkeit nachließ. Hinter ihnen sangen die Nachtvögel in den Zweigen, auch wenn Margriet ihre Lieder nicht erkannte. Je weiter sie nach Norden kamen, desto mehr veränderte sich das Land und seine Geschöpfe. Sie entfernte sich immer mehr von dem, was ihr vertraut und sicher erschien.
    „Ja, dann ist die Gefahr zu stürzen größer“, sagte sie und spielte ihr Lügenspiel weiter. Doch dann musste sie einfach etwas von dem loswerden, das in ihr kochte. Sie musste die Frage stellen, die sie am meisten quälte. „Wissen sie denn nicht, dass es Sünde ist?“
    „Meint Ihr jetzt die Frauen oder die Männer?“, fragte er ohne einen Hauch von Frivolität. „Ist Versuchung Sünde, oder ist sie es nur, wenn wir ihr nachgeben und die Grenzen überschreiten?“
    Margriet wandte sich um und sah ihn an. Sie war sich nicht sicher, ob nicht doch etwas Spott in seiner Frage mitklang. Auf seinem vom Mondlicht beschienen Gesicht schien ein strenger Ernst zu liegen. Mit einem Mal verspürte sie die tiefe Gewissheit, dass das hier eine andere Seite seines Wesens war als die, welche er sonst den meisten Menschen zeigte. Sie erinnerte sich an eine der Lektionen, gegen die sie in den vergangenen Monaten verstoßen hatte, und wiederholte Mutter Ingrids Worte: „Wenn es das Ziel der Versuchung ist, jemanden zur Sünde zu verleiten, dann sündigt der Versucher ebenso wie der, welcher der Versuchung nachgibt.“
    Er beugte sich zu ihr und flüsterte: „Und wenn der Versucher nicht weiß, was sie tun?“
    Sie wurde von Erinnerungen überfallen, Erinnerungen an Finns zärtliche Worte und Berührungen, die sie auf den Pfad der Sünde geführt hatten. Wenn sie nachdachte, dann hatte sie sich ihm gegenüber genauso benommen wie die Männer gegenüber den Huren. Er hatte sie bezaubert, in ihr den Wunsch nach mehr geweckt, den Wunsch nach Dingen, die sie zwischen Mann und Frau nicht für möglich gehalten hätte. Dinge, die man von wehrlosen Jungfrauen besser fernhalten sollte. Und dann hatte er sie gelehrt, auf seinen Ruf zu antworten, ob es jetzt seine Berührung gewesen war, seine Stimme oder die Liebe, die er ihr anbot.
    Oh ja, heftig und ungestüm war sie der Sünde der Lust und der Unzucht verfallen. Ob man es nun Liebe oder Versuchung nannte, das änderte nichts an der wahren Natur der Sache
    oder ihrer eigenen Natur. Es war eine Sünde gewesen, und sie hatte ihr hemmungslos nachgegeben.
    Margriets Augen füllten sich mit Tränen. Sie blinzelte, um sie vor Rurik zu verbergen. Die Erkenntnis, wie sehr sie doch den Männern dort drinnen glich, die heftig nach dem verlangten, was die Frauen ihnen zu bieten hatten, und wie sehr sie auch den Frauen glich, die genauso heftig danach verlangten, ihre Sittsamkeit loszuwerden, schmerzte tief. Man würde sie eine Hure nennen, wenn ihr Zustand bekannt wurde und allen und jedem den Beweis für ihre Sünde lieferte.
    „Sünde bleibt Sünde“, erwiderte sie, doch ohne die tiefe Überzeugung, die einer Tochter der Kirche hätte eigen sein müssen.
    Ob sie wusste, welch eine Versuchung sie für ihn darstellte, während sie nur dastand und sprach? Mit jeder Bewegung ihrer Hand und jedem Schritt, den sie machte, appellierte sie an etwas in seinem Innern, etwas, das besser nicht auf sie reagieren sollte. Doch es reagierte, und Ruriks Verlangen nach ihr wuchs mit jedem Tag.
    Sein Plan, sich mit ihr anzufreunden, war schon kurz nachdem er ihn gefasst hatte gescheitert. Jahrelang hatte er sich an Frauen und dem, was sie ihm zu bieten hatten,

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