Schleier und Schwert
und die Juwelen in ihrem Haar, war sie nackt. Zuerst glaubte er, sie habe sich verlaufen oder sei verwirrt. Vielleicht auch betrunken. Doch als er einen Blick in den Gang warf, sah er dort den Kaufmann und seine Frau, die erwartungsvoll darauf warteten, dass er ihr Geschenk annahm.
Nachdem er ihnen gedankt und ihr Geschenk, aber nicht ihre guten Wünsche, abgelehnt hatte, erkannte er die Lehre, die dieses Ereignis enthielt. Es gab Leute, die alles tun würden, um die Gunst von Erengisl und seinen Söhnen zu gewinnen. Sogar ihre Töchter würden sie ihnen als Bettgespielinnen geben.
Als er noch in Schottland lebte, war es nie ein Problem für ihn gewesen, eine Frau zu finden, wenn er das Verlangen oder den Wunsch nach einer verspürt hatte. Doch seine veränderten Lebensumstände brachten sie ihm nun in Scharen vor seine Tür, in den Korridor vor seinem Gemach und selbst in sein Bett, als eine unternehmungslustige junge Frau einen Diener bestochen hatte. Der Diener und die Frau waren fortgeschickt worden.
Er musste feststellen, dass er allem Anschein nicht auf der Höhe seiner Liebeskraft war und keine Lust verspürte, Frauen in sein Bett zu holen, die er anfangs eigentlich anziehend gefunden hatte. Jedes Mal, wenn er sie küsste oder berührte, merkte er, dass er sie unwillkürlich mit Margriet und ihrer Reaktion auf seinen Kuss und seine Berührungen verglich. Dann verließ ihn das Verlangen, und er schlief allein.
Bei Weitem die bizarrste Begegnung hatte er in Thorfinns Gemach, als er der Einladung seines Bruders zum Mittagsmahl nachkam und stattdessen von einer kaum fünfzehnjährigen Magd empfangen wurde. Während er auf Thorfinns Rückkehr wartete, begann sie, ihn auszuziehen. Als er sie daran hinderte, ihm die Tunika und die Beinlinge auszuziehen, versuchte sie, ihn durch den Stoff hindurch zu berühren. Schließlich hielt er sie sich vom Leib. Da fiel sie zu Boden und bat ihn, ihr zu erlauben, ihn zu verwöhnen oder sie zu töten. Denn falls ihr Herr herausfand, dass sie seinem Befehl nicht gehorcht hatte, wollte sie ihm lieber nicht mehr gegenübertreten.
Die Situation erschütterte ihn tief. Noch nie hatte er eine Frau durch Drohungen gezwungen, ihm zu Willen zu sein. Auch hatte er nie während seiner amourösen Abenteuer eine verletzt, ganz gleich wie heftig das Liebesspiel auch gewesen war. Und er wollte jetzt nicht damit beginnen. Als er das Mädchen am Arm fasste, schrie sie vor Schmerz auf. Rurik schob ihre Tunika zurück und entdeckte überall an ihrem Körper Spuren von Peitschenhieben. Der Anblick drehte ihm den Magen um. Er brachte sie zu Gunnar und gab den Befehl, für ihre Sicherheit zu sorgen, bis er die Wahrheit in dieser Sache herausgefunden hatte.
Wie es schien, fand Thorfinn auch Vergnügen daran, Schwächere und Untergebene zu demütigen. Hatte er etwa erwartet, Rurik würde die Aufmerksamkeiten des Mädchens genießen? Wer hatte sie ausgepeitscht und warum? Er würde Nachforschungen anstellen und dann ein Wort mit Thorfinn reden, denn er war überzeugt, dass ihr Vater solche Grausamkeiten gegen Diener nicht unterstützte. Doch bevor er noch mit Thorfinn sprechen konnte, wurde er zu den Gemächern seines Vaters gerufen, um mit ihm das Nachtmahl einzunehmen. Als er dort ankam, beklagte Thorfinn sich gerade darüber, dass er Gunnars Tochter noch nicht getroffen habe und bat Erengisl, sie doch ebenfalls einzuladen. Offensichtlich war Margriet in den letzten Tagen krank gewesen und in den Räumen ihres Vaters geblieben. Obwohl Gunnar versuchte, es ihm auszureden, bestand Thorfinn auf seinem Wunsch, und mit Erengisls Einwilligung ließ er nach ihr schicken.
Etwas stimmte nicht, aber Rurik wusste nicht, was. Kurz darauf erschien Margriet, und Erengisl bat sie einzutreten, um seinen anderen Sohn kennenzulernen. Rurik hatte sie noch nie so zögernd erlebt. Von seinem Platz aus beobachtete er, wie Gunnar sie zu seinem Vater geleitete. Die Countess kam um den Tisch herum, nahm Margriet bei der Hand und zog sie näher zu seinem Bruder.
Nach so vielen Jahren im Kloster seid Ihr sicher noch nicht an unsere Sitten gewöhnt, Margriet, aber wir dinieren gern in angenehmer Gesellschaft. Ich freue mich, dass Ihr Euch zu uns gesellt, nachdem Ihr Euch in den letzten Tagen nicht gut gefühlt habt.
Ich danke Euch für Eure Freundlichkeit, Mylady. Ich werde mich sicher noch an die festlichen Mahlzeiten gewöhnen, wie Ihr sie hier auf Eurer Burg anbietet.
Und jetzt kommt und lernt den ältesten
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