Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen
ihr zurückgekehrt« und sie sind mäßig glücklich. Obwohl er ihr natürlich die Tracht Prügel, die sie ihm indirekt verschaffte, nie verzeihen kann.
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Biehl möchte gern das eine wissen: – »Weshalb habe ich die Klage gegen das Schwein Bronckhorst nicht weiter verfolgt und ihn ins Kittchen gebracht?«
Frau Strickland möchte gerne wissen: – »Wie ist mein Mann nur zu dem fabelhaft schönen Wallach gekommen, den er von Eurer Station mitgebracht hat? Ich bin ganz genau über seine Geldangelegenheiten unterrichtet und bin überzeugt: gekauft hat er ihn sich nicht.«
Und ich möchte vor allem wissen: – »Wie kommt eine Frau wie Frau Bronckhorst dazu, einen Mann wie Bronckhorst zu heiraten?«
Und mein Rätsel ist von allen dreien am schwersten zu lösen.
Venus Annodomini
Sie hat nichts zu tun mit Nummer achtzehn im Braccio Nuovo des Vatikans, die zwischen Viscontis Ceres und dem Nilgott steht. Sie war eine rein indische Gottheit – und wir nannten sie die Venus Annodomini, um sie von den übrigen Annodominis dieser nie aussterbenden Gattung zu unterscheiden. In den Bergen ging die Sage, daß sie einmal jung gewesen war; allein unter den Lebenden war kein Mann, der den Mut gehabt hätte, vorzutreten und kühn die Wahrheit dieser Legende zu bezeugen. Männer ritten hinauf nach Skala und blieben dort und gingen wieder weg und verrichteten ihre Lebensarbeit und kehrten zurück, nur um die Venus Annodomini gänzlich unverändert zu finden. Sie war so ewig wie die Berge, wenn auch nicht ganz so grün. Alles, was ein Mädchen von achtzehn Jahren an Reiten, Spazierengehen, Tanzen, Picknickfeiern und allgemeiner Überanstrengung zu leisten vermag, das leistete auch die Venus Annodomini, ohne das leiseste Anzeichen von Abspannung oder Müdigkeit. Außer ihrer ewigen Jugend, hieß es, hätte sie noch das Geheimnis ewiger Gesundheit entdeckt, und ihr Ruhm mehrte sich weit und breit im Lande. Von einem schlichten Exemplar der Gattung Weib entwickelte sie sich zu einer Institution, insofern man von keinem jungen Manne behaupten konnte, daß seine Erziehung vollendet sei, wenn er nicht zu irgendeiner Zeit vor dem Altar der Venus Annodomini gekniet hatte. Ja, sie hatte nicht ihresgleichen, obwohl es viele Nachahmungen gab. Für sie bedeuteten sechs Jahre nicht mehr als für andere Frauen sechs Monate; und zehn Jahre hinterließen an ihr weniger Spuren als eine Woche Fieber an ihren Geschlechtsgenossinnen. Jeder einzelne betete sie an, und sieihrerseits war fast zu jedem freundlich und liebenswürdig. Das Jungsein war ihr bereits eine so alte Gewohnheit geworden, daß sie sich nicht davon zu trennen vermochte – in Wahrheit hatte sie niemals die Notwendigkeit hierzu erkannt – und so wählte sie zu ihren bevorzugten Genossen junge Leute.
Unter den Andächtigen, die auf dem Altar der Venus Annodomini opferten, war auch der junge Gayerson. Er wurde der »noch jüngere« Gayerson genannt, um ihn von seinem Vater, dem »jungen Gayerson«, einem Mitglied des bengalischen Zivildienstes – zu unterscheiden, der gleichfalls die Gewohnheiten der Jugend angenommen hatte und auch ein jugendliches Herz besaß. Der »noch jüngere« Gayerson war nun nicht zufrieden, seelenruhig und um der Form willen anzubeten, wie die anderen jungen Männer das taten und einen Spazierritt, einen Tanz oder ein Gespräch seitens der Venus Annodomini mit der gebührend demütigen und dankbaren Gesinnung hinzunehmen. Er stellte im Gegenteil Ansprüche, so daß die Venus Annodomini ihn zurechtweisen mußte, ja, er machte sich ihretwegen ganz überflüssigerweise halb krank, und der Ernst seiner Hingabe bewirkte, daß er neben den älteren Männern, die mit ihm die Venus Annodomini verehrten, je nach seiner Laune entweder stürmisch oder ungezogen erschien. Der Venus selbst tat es leid. Er erinnerte sie an einen jungen Burschen, der ihr vor dreiundzwanzig Jahren einmal eine grenzenlose Verehrung gezollt und für den sie etwas länger als eine Woche ebenfalls eine Schwäche gezeigt hatte. Aber der Junge hatte sich von ihr abgewendet und in weniger als einem Jahr nach seinem Götzendienste eine andere Frau geheiratet; und die Venus Annodomini hatte fast – nicht ganz – seinen Namen vergessen. Der »noch jüngere« Gayerson hatte die gleichen großen, blauen Augen und die nämlicheArt zu schmollen und die Unterlippe vorzustrecken, wenn er aufgeregt oder unglücklich war. Trotz alledem hielt ihn die Venus Annodomini streng in Schach. Zu viel Wärme
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