Schließe deine Augen
Geschäft im siebenstelligen Bereich für möglich.« Er wandte sich um, um Madeleines Gesicht zu mustern.
»Im siebenstelligen Bereich? Du meinst eine Million oder mehr?«
»Ja.«
»Mein Gott, das ist … wirklich was.«
Er starrte sie an. »Legst du es irgendwie darauf an, keine Reaktion zu zeigen?«
»Welche Reaktion soll ich denn zeigen?«
»Mehr Neugier? Zufriedenheit? Ein paar Ideen, was wir mit so einem Batzen Geld anfangen könnten?«
Sie runzelte die Stirn, dann strahlte sie. »Wir könnten einen Monat in der Toskana verbringen.«
»Das würdest du mit einer Million Dollar machen?«
»Welche Million Dollar?«
»Sieben Stellen, schon vergessen?«
»Nein. Aber das muss doch erst mal Realität werden.«
»Sonya meint, dass es schon Realität ist. Am Samstag treffe ich mich in der Stadt zum Abendessen mit dem Sammler, Jay Jykynstyl.«
»In der Stadt?«
»Bei dir klingt das fast wie ein Treffen in der Kanalisation.«
»Was genau sammelt er?«
»Keine Ahnung. Anscheinend Zeug, für das er eine Menge zahlt.«
»Du findest es glaubwürdig, dass er dir so viel Geld für aufpolierte Porträts von Verbrechervisagen geben will? Weißt du denn überhaupt, wer das ist?«
»Das werde ich gleich morgen rausfinden.«
»Merkst du überhaupt, was du da erzählst?«
Soweit er das an sich wahrnehmen konnte, war ihm tatsächlich nicht ganz wohl in seiner Haut. Aber das hätte er nie zugegeben. »Worauf willst du hinaus?«
»Du verstehst doch was davon, Geschichten zu zerpflücken. Keiner kann das so gut wie du.«
»Was meinst du?«
»Was ich meine? Du siehst die Ungereimtheiten – ›ein Auge für Diskrepanzen‹ hast du es mal genannt. Nun, für mich hört sich das an, als wäre auch hier ein bisschen Zerpflücken angebracht. Wie kommt es, dass du das nicht machst?«
»Vielleicht möchte ich erst noch mehr über die Sache erfahren und rausfinden, wer dieser Jykynstyl überhaupt ist.«
»Klingt vernünftig.« Ihr Ton war so sachlich, dass er wusste, sie dachte genau das Gegenteil. »Übrigens, was ist das eigentlich für ein Name?«
»Jykynstyl? Hört sich irgendwie holländisch an.«
Sie lächelte. »Für mich hört es sich an wie ein Ungeheuer aus einem Märchen.«
29
Vermisst
Während Madeleine zum Abendessen ein Gericht mit Shrimps und Pasta zubereitete, durchforstete Gurney im Keller alte Ausgaben des Sonntagsmagazins der New York Times , die für ein Gartenprojekt aufgehoben worden waren. (Eine Freundin hatte Madeleine darauf gebracht, ein Beet anzulegen, bei dem mit Zeitungspapier Mulchschichten erzeugt wurden.) Er durchsuchte die Zeitschriften nach der Doppelseite mit dem provozierenden Werbefoto Jillians. Vor allem kam es ihm auf den Namen des Fotografen an. Als er schon aufgeben und einfach Ashton anrufen wollte, stieß er auf den jüngsten Abdruck der Werbung. Wie ihm auffiel, war er durch einen makaberen Zufall am Tag des Mordes erschienen.
Statt sich die Angabe einfach zu notieren – Foto von Alessandro –, nahm er die Zeitschrift mit hinauf. Er legte sie auf den Tisch, den Madeleine gerade deckte. Außer der Namensangabe stand nur ein Satz in modisch dezenten Lettern auf der Seite: »Maßgeschneiderte Bekleidung ab 100 000 Dollar.«
Sie machte ein böses Gesicht. »Was ist das?«
»Eine Anzeige für edle Klamotten. Unglaublich teuer. Außerdem ein Bild des Opfers.«
»Opfer? Du meinst …?«
»Jillian Perry.«
»Die Braut?«
»Die Braut.«
Madeleine vertiefte sich in die Werbung.
»Die Frauen auf dem Foto – das ist beides sie«, erläuterte Gurney.
Mit einem knappen Nicken deutete Madeleine an, dass sie das bereits bemerkt hatte. »Damit hat sie ihren Lebensunterhalt verdient?«
»Ich weiß noch nicht, ob es ihre Arbeit war oder ob sie es nur gelegentlich gemacht hat. Als ich das Bild in Scott Ashtons Haus gesehen habe, war ich so verblüfft, dass ich nicht gefragt habe.«
»Das hängt in seinem Haus? Er ist Witwer, und das ist das Bild, das er …« Kopfschüttelnd verstummte sie.
»Er erzählt das Gleiche über sie wie ihre Mutter – dass sie eine einzigartig intelligente, kranke, verführerische Wahnsinnige war. Das Dumme ist, dass das auf den ganzen verdammten Fall zutrifft. Alle Beteiligten sind Genies oder Spinner … pathologische Lügner oder … was weiß ich. Ashtons Nachbar, dessen Frau angeblich mit dem Mörder geflohen ist, spielt im Keller mit einer Modelleisenbahn unter einem Weihnachtsbaum. Ich war noch nie so orientierungslos. Genau wie mit der Spur.
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