Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schlimmes Ende

Titel: Schlimmes Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Ardagh
Vom Netzwerk:
Haselnuss vor einem Publikum, also musste ich eine Haselnuss bleiben. Da bedurfte es schon mehr als einer marodierenden Bande von Baumratten…«
    »Zaunlatten?«, unterbrach die Wahnsinnige Tante Maud. »Sie wurden mit Zaunlatten angegriffen?«
    »Nicht mit Zaun-lat-ten, Gnädigste«, sagte Mr Pumblesnook mit übermenschlicher Geduld. »Von Baumratten… Eichhörnchen.«
    Während er sich immer noch die Nase mit seinem blutbefleckten Taschentuch betupfte, versuchte Eddie, daraus schlau zu werden, warum seine Großtante plötzlich angefangen hatte, sich zu verhören. Warum war sie plötzlich schwerhörig geworden? Sie hatte doch keine Gehörprobleme gehabt, als ihre Reise in den ersten Zügen lag, warum also jetzt?
    »So nahm das Stück seinen Lauf«, fuhr Mr Pumblesnook fort. »Ich verblieb in Kostüm und Rolle und verhielt mich, wie eine Haselnuss sich verhalten hätte, die den Angriffen von
Eichhörnchen ausgesetzt ist… Stets der Rolle verhaftet… Der Schlüssel zum schauspielerischen Erfolg, mein Junge!«
    Eddie wollte gerade fragen, wie sich die Durchschnittsnuss verhält, wenn sie von Eichhörnchen gefressen wird - wahrscheinlich irgendwie still und knackig zugleich, nahm er an -, als er von den Aktionen der Wahnsinnigen Tante Maud abgelenkt wurde.

    Seine Großtante summte eine kleine Melodie so unmelodiös, dass es in einigen sehr strengen Ländern bestimmt illegal gewesen wäre, so was eine Melodie zu nennen, und stutzte dabei ihrem ausgestopften Wiesel die Schnurrbarthaare mit einer goldbeschichteten Nagelschere. Da könnte man sagen: Na und. Da fallen euch wahrscheinlich einige Lehrerinnen ein, bei denen es nichts schaden könnte, wenn sie sich die Oberlippen- oder Nasenloch- oder Ohrbehaarung (wie z. B. Frl. Boris, als ich noch zur Schule ging) entfernten…, aber was die Wahnsinnige Tante Maud mit den abgeschnittenen Haaren machte, das war es, was Eddies Aufmerksamkeit erregte. Sie bewahrte sie in ihren eigenen Ohren auf.
    Jeder Gedanke an Nüsse war dahin, aus dem Fenster geflogen (wie die Uhr seiner Tante in einer früheren Folge). Nein, das ist so nicht ganz wahr. Jeder Gedanke an den als Haselnuss
verkleideten Mr Pumblesnook war aus dem Fenster geflogen. Eddie dachte jetzt an eine andere Art von Nuss: die dumme Nuss, die mit abgeschnittenen, ausgestopften Wieselschnurrbarthaaren in den Ohren neben ihm saß…, und er musste mit dieser Frau in Schlimmes Ende zusammenleben, bis seine Eltern geheilt waren!
    Ihn schauderte.
    »Bist du bereit, dich der Herausforderung zu stellen, junger Herr Dickens?«, fragte Mr Pumblesnook. »Bist du gewappnet, die Rolle eines Waisenknaben zu übernehmen und dieser Rolle bis ans Ende dieser Reise treu zu bleiben? Kurz: Bist du bereit und willens, diese Rolle zu spielen und nicht aus dieser Rolle zu fallen, bis ich dir sage: ›Und Schluss‹?«
    »Ich glaube schon«, sagte Eddie. Vielleicht lenkte ihn das von dem ab, was ihn erwartete: ein Leben in einem fremden Haus mit einer sehr fremdartigen Großtante und einem ebensolchen Großonkel.
    »Versprichst du, getreulich deine Rolle zu spielen?«, fragte Mr Pumblesnook gebieterisch und beugte sich an der Wahnsinnigen Tante Maud vorbei herüber, welche gerade ihre Nagelschere zurück in ihre Handtasche stopfte, weshalb Malcolm - nur für ganz kurz! - auf ihrem Schoß ruhte. Der Theaterdirektor ergriff die Gelegenheit dieses ausgestopfteswieselfreien Augenblicks, um Eddie frontal ins Gesicht zu blicken, ohne einen pelzigen Seitenhieb mit Schwanz, Nase oder Kralle befürchten zu müssen. »Versprichst du bei der Ehre deiner Familie, nicht aus der Rolle zu fallen?«
    »Ja«, sagte Eddie, Mr Pumblesnooks Blick standhaltend.
    Um die »Familienehre« wurde damals noch viel mehr Aufhebens gemacht. Wenn man damals einen Bischof haute oder jemanden kitzelte, der Geld für einen mildtätigen Zweck
sammelte, dann brachte man nicht nur Schande über sich selbst, sondern über die ganze Familie.
    Dann sagten die Leute: »Da hinten geht Mrs Harris, deren Sohn das Standbild aus Lammkoteletts in der Kunstausstellung aufgegessen hat«, und setzten sich in der Kirche nicht mehr neben sie. Oder die Leute überquerten die Straße, um zu vermeiden, dass sie sich mit irgendwelchen Mitgliedern der Familie Munroe den Bürgersteig teilten, nur weil Mary Munroe die gesamte Familie Thompson von nebenan, als diese schlief, leuchtend rot angestrichen hatte. Nein, Familienehre war wichtig, deshalb war es auch wichtig, bei der Familienehre zu

Weitere Kostenlose Bücher