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Schlink,Bernhard

Schlink,Bernhard

Titel: Schlink,Bernhard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sommerlügen
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Wenn in den nächsten fünfzehn Minuten ein leeres Taxi durch die Straße
führe, würde er es nehmen und zu einem Hotel auf der East
Side fahren, wenn nicht, würde er in seine Wohnung
gehen. Schon nach einer Minute kam ein leeres Taxi, er hielt es nicht an, ging
aber auch nicht hoch.
    Er
gestand sich ein, dass er alleine nicht zurechtkam. Er war bereit, es auch
Susan zu gestehen. Er brauchte ihre Hilfe. Sie musste zu ihm kommen und bei ihm
bleiben. Sie musste ihm helfen, seine alte Wohnung zu räumen, und sie musste
sich mit ihm in der neuen einrichten. Sie konnte danach nach Los Angeles
fahren. Er rief sie an. Sie saß in Boston in der Lounge, war aber im Aufbruch.
    »Ich
steige gleich ins Flugzeug nach Los Angeles.«
    »Ich
brauche dich.«
    »Ich
brauche dich auch. Mein Liebster! Ich vermisse dich so sehr.«
    »Nein,
ich brauche dich wirklich. Ich komme mit meinem alten und unserem neuen Leben
nicht zurecht. Du musst kommen und später nach Los Angeles fahren. Bitte!« Im
Hörer rauschte es. »Susan? Hörst du mich?«
    »Ich
gehe gerade zum Gate. Du kommst nach Los Angeles?«
    »Nein,
Susan, komm du nach New York, ich bitte dich.«
    »Ich
würde so gerne kommen, ich wäre so gerne bei dir.« Er hörte, wie sie nach ihrer
Bordkarte gefragt wurde. »Vielleicht können wir uns am nächsten Wochenende
sehen, lass uns darüber telefonieren, ich muss ins Flugzeug, ich bin die
Letzte. Ich liebe dich.«
    »Susan!«
    Aber
sie hatte aufgelegt, und als er wieder anrief, wurde er mit der Mailbox
verbunden.
     
    13
     
    Es
wurde dunkel. Der Nachbar setzte sich zu ihm. »Probleme?«
    Richard
nickte.
    »Frauen?«
    Richard
lachte und nickte wieder.
    »Verstehe.«
Der Nachbar stand auf und ging. Wenig später kam er noch mal, stellte eine
Flasche Bier neben Richard und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Trink!«
    Richard
trank und sah dem Treiben auf der Straße zu. Den Kids ein paar Häuser weiter,
die rauchten und tranken und die Musik dröhnen ließen. Dem Dealer im Schatten
der Treppe, der wortlos gefaltete Briefchen aushändigte und Geldscheine
einsteckte. Dem Liebespaar im Hauseingang. Dem alten Mann, der seinen
Faltsessel als Letzter noch nicht zusammengeklappt und hochgetragen hatte und
manchmal eine Bierdose aus der Kühltasche holte. Es war immer noch warm; in der
Luft lag nichts von der Schärfe, die an einem Spätsommerabend den nahen Herbst
ankündigen kann, sondern das Versprechen eines langen, milden Sommerausklangs.
    Richard
war müde. Er hatte immer noch das Gefühl, er müsse sich für sein altes oder für
das neue Leben entscheiden, er müsse nur den richtigen Einfall oder den
nötigen Mut haben, dann werde er wie von selbst aufstehen und hochgehen oder
davonfahren. Aber das Gefühl war müde, wie er müde war.
    Warum
sollte er heute mit einem Taxi zu einem Hotel auf der East
Side fahren? Warum nicht morgen? Warum sollte er
nicht im alten Leben bleiben, bis er sich auf das neue einließ ? Wäre doch
gelacht, wenn er in ein paar Wochen nicht schaffen würde, aus dem alten Leben
ins neue zu wechseln. Er würde es auch jetzt schaffen. Wenn es sein müsste.
Aber es musste nicht sein. Außerdem hinderte ihn, wenn er jetzt fuhr, nichts
daran, morgen zurückzukommen. Wenn er später fuhr, würde er nicht mehr
zurückkommen. Das neue Leben mit Susan würde ihn halten.
    Wichtig
war, dass er sich entschied. Und er hatte sich entschieden. Er würde sein
altes Leben aufgeben und mit Susan ein neues beginnen. Sobald er es wirklich
beginnen konnte. Jetzt konnte er es noch nicht. Er würde es tun, wenn es so
weit war. Er würde es tun, weil er sich entschieden hatte. Er würde es tun. Nur
nicht jetzt.
    Als
er aufstand, taten ihm die Glieder weh. Er streckte sich und sah sich um. Die
Kids waren zu Hause und saßen vor dem Fernseher oder spielten am Computer oder
schliefen. Die Straße war leer.
    Richard
nahm die Reisetasche, schloss die Haustür auf, holte die Post aus dem Kasten,
stieg die Treppe hoch und schloss die Wohnungstür auf. Er ging durch die Zimmer
und öffnete die Fenster. Der Eimer, der die Tropfen aus dem kaputten Rohr
auffing, war fast leer, und auf dem Tisch stand ein Strauß Astern. Maria. Der
Oboist fragte auf dem Anrufbeantworter, ob man sich heute Abend sähe. Der Spanischlehrer
grüßte auf einer Postkarte aus dem Yogaurlaub in Mexiko. Richard machte den
Computer an und wieder aus; die E-Mails konnten warten. Er packte die Reisetasche
aus, zog sich aus und warf die getragenen Sachen in den

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