Schlink,Bernhard
Abend zu Hause feststellte. Seine Freundin Anne hatte ihm keine
Nachricht hinterlassen. Ob unter den Anrufen, die er bekommen hatte, auch
Anrufe von ihr waren, konnte er nicht sehen; vielleicht war die unterdrückte
Nummer ihre, vielleicht nicht.
Er
rief sie an. Es tue ihm leid, dass er sie am Abend nicht aus dem Hotel habe
anrufen können. Es sei zu spät gewesen. Heute sei er früh aufgebrochen, früher,
als er sie habe stören wollen. Ja, und sein Telefon habe er zu Hause vergessen.
»Hast du mich zu erreichen versucht?«
»Es
war seit Wochen der erste Abend, an dem wir nicht miteinander gesprochen haben.
Du hast mir gefehlt.«
»Du
mir auch.«
Es
stimmte. Die letzte Nacht hatte sich falsch angefühlt. Die Nähe des geteilten
Betts war zu viel gewesen. Ihr hatte keine innere Nähe entsprochen, durch Liebe
gestiftet oder durch Begierde oder auch durch Sehnsucht nach Wärme oder Furcht
vor Einsamkeit. Mit Anne hätte sich das geteilte Bett, mit ihr hätte sich die
Nacht richtig angefühlt.
»Wann
kommst du?« Sie fragte zärtlich und fordernd.
»Ich
dachte, du kommst.« Hatte sie nicht versprochen, nach dem Kurs, den sie in
Oxford gab, ein paar Wochen bei ihm zu verbringen - Wochen, vor denen er ebenso
Angst hatte, wie er sich auf sie freute?
»Ja,
aber das sind noch vier Wochen.«
»Ich
versuche, am übernächsten Wochenende zu kommen.«
Sie
schwieg. Als er fragen wollte, ob es am übernächsten Wochenende ein Problem
gebe, sagte sie: »Du klingst anders.«
»Anders?«
»Anders
als sonst. Was stimmt nicht?«
»Alles
stimmt. Vielleicht habe ich nach der Premiere zu lange gefeiert und bin zu spät
ins Bett und zu früh raus.«
»Was
hast du heute den ganzen Tag gemacht?«
»Ich
habe in Heidelberg recherchiert. Ich will dort eine Szene spielen lassen.« Ihm
fiel so schnell nichts anderes ein. Jetzt musste er also eine Szene seines
nächsten Stücks in Heidelberg spielen lassen.
Wieder
schwieg sie, ehe sie sagte: »Das tut uns nicht gut. Du dort und ich hier. Warum
schreibst du nicht hier, solange ich hier unterrichte?«
»Ich
kann nicht, Anne, ich kann nicht. Ich treffe den Intendanten vom Konstanzer
Theater und den Lektor vom Theaterverlag und habe Steffen versprochen, im
Wahlkampf zu helfen. Du denkst, dass ich, anders als du, mir alles einrichten
kann, wie ich will. Aber ich kann nicht alles stehen und liegen lassen.« Er
ärgerte sich über sie.
»Wahlkampf...«
»Niemand
hat dich gezwungen ...« Er wollte sagen, niemand habe sie gezwungen, den
Lehrauftrag in Oxford anzunehmen. Aber ihr Feld war nun einmal das schmale
Feld der feministischen Rechtstheorie, mit dem sie keine feste Stelle, sondern
nur Lehraufträge bekam. Sie hätte ihr Feld erweitern können. Aber sie wollte
nichts anderes machen, und die Nachfrage nach ihren Kursen zeigte ihm, dass
sie, was sie machte, gut machte. Nein, er wollte nicht gemein werden. »Wir
müssen besser planen. Wir müssen einander sagen, wenn jemand was von einem von
uns will. Wir müssen absprechen, was wir annehmen und was wir ablehnen.«
»Kannst
du schon am Mittwoch kommen?«
»Ich
versuch's.«
»Ich
liebe dich.«
»Ich
liebe dich auch.«
3
Er
hatte ein schlechtes Gewissen. Er hatte Anne angelogen, hatte sich über sie
geärgert, wäre beinahe gemein zu ihr gewesen und war froh, dass das
Telefongespräch mit ihr vorbei war. Als er auf den Balkon trat und merkte, wie
sommerwarm und -ruhig die Stadt war, setzte er sich. Manchmal fuhr auf der
Straße unter dem Balkon ein Auto vorbei, manchmal klangen Schritte zu ihm hoch.
Er hatte auch ein schlechtes Gewissen, weil er Therese nicht anrief und fragte,
ob sie alles gut überstanden und alles gut angetroffen habe.
Dann
war er das schlechte Gewissen leid. Er schuldete Therese nichts. Was er Anne
verschwieg, musste er ihr verschweigen, weil sie darauf übertrieben
eifersüchtig reagieren würde. Frühere Freundinnen hatten sich nicht daran gestört,
wenn sie hörten, dass er auf einer Reise oder bei einem Besuch das Bett mit
einer anderen Frau geteilt hatte, solange es nur das Bett war. Anne wäre außer
sich. Warum musste sie wegen einer anderen Frau so ein Aufheben machen! Und
dass sie meinte, er schreibe das Gesetz seines Lebens selbst und sei jederzeit
verfügbar, während sie dem Gesetz ihrer Karriere gehorchen müsse - wie sollte
er sich darüber nicht ärgern? Sie hatte ihren Weg gewählt wie er seinen.
Er
war froh, dass das Telefongespräch vorbei war, und lebte doch schon in der
Erwartung
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