Schlink,Bernhard
des nächsten. Sie kannten und liebten sich seit sieben Jahren und
hatten noch immer nicht geschafft, dem gemeinsamen Leben eine verlässliche
Gestalt zu geben. Anne hatte in Amsterdam eine Wohnung und einen Lehrauftrag,
von dem sie nicht leben, den sie aber jederzeit ruhen lassen konnte, um in
England oder Amerika oder Kanada oder Australien oder Neuseeland zu
unterrichten. Dann besuchte er sie dort und blieb mal länger und mal kürzer.
Dazwischen war sie für Tage oder Wochen bei ihm in Frankfurt und er für Tage
oder Monate bei ihr in Amsterdam. Er fand sie in Frankfurt zu anspruchsvoll
und sie ihn zu kleinlich, und in Amsterdam gab es weniger Spannungen, sei's
weil sie großzügiger als er, sei's weil er bescheidener als sie war. Ein gutes
Drittel des Jahres verbrachten sie gemeinsam. Für den Rest des Jahres war Annes
Leben unstet, ein Leben aus Koffern und in Hotels, während seines in ruhiger
Bahn lief - mit Veranstaltungen und Verabredungen, mit Schriftstellerverband
und Partei, mit Freunden und, ja, Therese.
Nicht
dass ihm das alles viel bedeutet hätte. Er war froh über jede Veranstaltung,
die ausfiel, jede Verabredung, die abgesagt wurde, jede politische Einladung
und Aufforderung, die nicht den Weg in seinen Briefkasten oder seine Inbox fand. Aber sich aus allem rausreißen und zu Anne nach
Amsterdam und mit ihr in die Welt ziehen - nein, das ging nicht.
Es
ging nicht, obwohl sie ihm oft körperlich schmerzhaft fehlte. Wenn er glücklich
war und das Glück mit ihr hätte teilen wollen, wenn er traurig war und ihren
Trost gebraucht hätte, wenn er mit ihr nicht über seine Gedanken und Projekte
reden konnte. Wenn er alleine im Bett lag. Dabei redeten sie, wenn sie
zusammen waren, kaum über seine Gedanken und Projekte, und beim Trösten war
sie nicht so einfühlsam und im Glück nicht so überschwenglich, wie er sich's
gewünscht hätte. Sie war eine entschlossen zupackende Frau, und als er sie das
erste Mal sah, sah er diese zupackende Entschlossenheit in ihrem schönen
bäuerlichen Gesicht mit den vielen Sommersprossen und dem rotblonden Haar und
mochte sie sofort. Er mochte auch ihren schweren, kräftigen, verlässlichen
Körper. Mit ihm einzuschlafen und aufzuwachen und ihn nachts im Bett zu finden
- das war, wenn sie zusammen waren, genauso schön, wie er es phantasierte, wenn
sie getrennt waren.
Sosehr
sie sich nach einander sehnten, so schön sie es miteinander hatten - sie
hatten zerstörerische Auseinandersetzungen. Weil er sich mit dem mehr getrennten
als gemeinsamen Leben abgefunden hatte und sie nicht. Weil er nicht so
beweglich und verfügbar war, wie er ihrer Meinung nach hätte sein können. Weil
sie bei ihrer Karriere nicht die Kompromisse machte, die sie seiner Meinung
nach hätte machen können. Weil sie in seinen Sachen spionierte. Weil er log,
wenn kleine Lügen große Konflikte zu vermeiden versprachen. Weil er ihr nichts
recht machen konnte. Weil sie sich oft respekt- und lieblos behandelt fühlte.
Wenn sie wütend wurde, schrie sie ihn an und zog er sich in sich zurück.
Manchmal stahl sich unter ihrem Geschrei ein täppisches Grinsen auf sein
hilfloses Gesicht, das sie noch wütender machte.
Aber
die Wunden der Auseinandersetzungen heilten rascher als die Schmerzen der
Sehnsucht. Nach einer Weile blieb von den Auseinandersetzungen nur die
Erinnerung, dass da etwas war, eine heiße Quelle, die immer wieder einmal
blubberte und zischte und dampfte, die sie sogar tödlich verbrühen und
verbrennen würde, wenn sie in sie hineinfielen. Aber sie konnten vermeiden, in
sie hineinzufallen. Vielleicht würde sich eines Tages auch herausstellen, dass
die heiße Quelle nur ein Spuk war. Eines Tages? Vielleicht schon beim nächsten
Wiedersehen, nach dem sie sich sehnten und auf das sie sich freuten!
4
Er
flog nicht am Mittwoch, sondern erst am Freitag. Als er am Montag beim
italienischen Restaurant um die Ecke zu Abend aß, setzte sich ein Herr zu ihm,
der eine Pizza bestellt hatte und abholen wollte. Sie kamen ins Gespräch, der
andere stellte sich als Produzent vor, und sie redeten über Stoffe und Stücke
und Filme. Beim Aufbruch lud der andere ihn für Donnerstag auf einen Kaffee in
sein Büro ein. Es war sein erster Kontakt mit einem Produzenten; er hatte schon
lange von Filmen geträumt, aber niemanden gehabt, dem er seine Träume anbieten
konnte. Also buchte er von Mittwoch auf Freitag um.
Er
flog nicht mit einem Drehbuch- oder Treatmentauftrag in der Tasche
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